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Umgang mit "politischen Gegnern" © izrg

Ernst Oberfohren (DNVP)

Am 7. Mai 1933 wird der DNVP-Reichstagsabgeordnete Ernst Oberfohren (1881-1933) erschossen in seiner Kieler Wohnung aufgefunden. Sein Tod gibt Anlass zu wilden Spekulationen: Haben die Nationalsozialisten den Mann, den eine persönliche Feindschaft mit NSDAP-Gauleiter Hinrich Lohse verbindet, ermordet?

Der Gymnasiallehrer Oberfohren tritt 1919 in die DNVP ein und sitzt seit 1920 im Reichstag. 1929 übernimmt er den Fraktionsvorsitz und setzt die vom Medienunternehmer und DNVP-Vorsitzenden Alfred Hugenberg eingeleitete Radikalisierung der Partei durch. Sie wirbt um die gleichen Wähler des Mittelstandes und Bauerntums wie die NSDAP. In Schleswig-Holstein liefern sich die Spitzenpolitiker Oberfohren und Lohse wilde verbale Schlachten. Einen Rechtsstreit kann Oberfohren teilweise für sich entscheiden. Solange es seiner Partei nutzt, stimmt er aber der Zusammenarbeit mit Nationalsozialisten zu. Er befürwortet auch die ab dem 30. Januar 1933 amtierende Koalitionsregierung Hitler/Hugenberg.

Dann erkennt Oberfohren, dass eine Kontrolle der NSDAP unmöglich ist. Er hält Hugenberg für überfordert, kritisiert auch dessen autoritären Führungsstil. In Schleswig-Holstein wird Oberfohrens schärfster Konkurrent Lohse Oberpräsident: Die NSDAP droht die DNVP zu überrennen. Oberfohren scheitert mit dem Versuch, gegen Hugenberg und die Kooperation mit der NSDAP innerparteiliche Opposition zu mobilisieren. Die preußische Polizei überwacht ihn, hört dabei am 26. März ein Telefonat ab; es geht um Material gegen Hugenberg. Bei einer Hausdurchsuchung beschlagnahmte Unterlagen veröffentlicht später die nationalsozialistische "Braunschweigische Landeszeitung": Oberfohren sieht sich bloß gestellt und vollkommen isoliert. Er wählt den Freitod.


Otto Eggerstedt (SPD)

1949 findet vor dem Landgericht Oldenburg i. O. der Prozess gegen der ehemaligen SS-Mann Theodor Groten, einen der Mörder des ehemaligen Reichstagsabgeordneten Otto Eggerstedt statt.

Otto Eggerstedt (1886-1933), ein gelernter Bäcker, engagiert sich früh in der Gewerkschaft und in der SPD. Nach Ende des Ersten Weltkriegs ist er Vorsitzender der Kieler SPD, sitzt im Stadtrat und ab 1921 im Reichstag. Er ist entschiedener Verfechter der Weimarer Republik. 1929 wird er Polizeipräsident von Altona und trägt durch Genehmigung und Unterschätzung des NSDAP-Aufmarsches Mitverantwortung für den "Altonaer Blutsonntag" am 17. Juli 1932: er wird seines Postens enthoben. Er bleibt Objekt des Hasses für KPD und NSDAP. Am 27. Mai 1933 wird Eggerstedt wegen eines angeblichen Verstoßes gegen das Pressegesetz in "Schutzhaft" genommen und auf Anordnung von Schleswigs Regierungspräsident Anton Wallroth (DNVP) am 12. August 1933 in das Konzentrationslager Esterwegen im Emsland überstellt.

16 Jahre später treten überlebende Lagerinsassen als Zeugen gegen Groten auf. Sie berichten, wie das Wachpersonal der SS Eggerstedt immer wieder seelisch und körperlich misshandelte: Am 12. Oktober 1933, seinem Todestag, schicken Aufseher Eggerstedt zu einem Sonderarbeitseinsatz in den Wald. Gemeinsam mit drei anderen Gefangenen schleppt er einen schweren Baumstamm, als plötzlich ein Schuss fällt. Eggerstedt - von einer Gewehrkugel aus der Waffe Grotens in den Rücken getroffen - wälzt sich am Boden. Daraufhin schießt ihm SS-Scharrführer Eisenhut aus nächster Nähe in den Kopf. Die offizielle Todesursache lautet: "Auf der Flucht erschossen."

Das Oldenburger Landgericht verurteilt Groten zu lebenslangem Zuchthaus; Eisenhut ist noch während des Kriegs gestorben.


Dr. Fritz Solmitz (SPD)

Mit zeittypischem Pathos schreibt Redakteur Solmitz im Sommer 1932 im sozialdemokratischen "Lübecker Volksboten": "Ob ich den kommenden Winter noch erleben werde, das freilich weiß ich nicht. Aber es ist mir auch vollkommen gleichgültig. Wichtig ist nur eines. Dass die Freiheit am Leben bleibe." Im Jahr darauf ist die Freiheit, die er meint, tot. Er selbst auch.

Fritz Solmitz (1893-1933) stammt aus einer jüdischen Bankiersfamilie in Berlin, studiert Nationalökonomie, promoviert und wendet sich der SPD zu. Der Reichstagsabgeordnete Julius Leber holt ihn 1924 nach Lübeck, als Redakteur zum "Volksboten". Bald auch Mitglied der Bürgerschaft ist Solmitz örtlich bekannter NS-Gegner. Noch auf der letzten Lübecker Großdemonstration gegen die Regierung Hitler am 19. Februar 1933 ruft er zum Kampf gegen die NS-Herrschaft auf, wird verhaftet, gefoltert und kommt am 19. September 1933 im KZ Fuhlsbüttel ums Leben: Wahrscheinlich nimmt er sich nach schweren Martern selbst das Leben.

Solmitz hinterlässt ein vom 13. bis 18. September auf Zigarettenpapier verfasstes Tagebuch, das gefunden und gesichert wird. Er schreibt seine an die Ehefrau gerichteten letzten Zeilen tief ehrlich und ohne Pathos. Er ist stolz darauf, dass er, seiner Erinnerung nach, den Folterern keine Träne und keinen Schrei gönnte. Er schildert zugleich, wie schwer ihm das fiel, wie groß seine Not sei. Und weiter: "Aber ich glaube, das weiter zu ertragen, wäre unmännlicher als klagen. War denn das Wort, Lieber tot als Sklav, nur eine Phrase? Nun wirst du mich verstehen, geliebte Frau. Konzentrationslager Fuhlsbüttel 16. Sept. 1933 Dr. Fritz Solmitz" - Drei Tage später ist der Geschundene tot. Sein Tagebuch endet: "Flieh weit, weit weg K. mit den Kindern ... Geht bald fort. ... Hilf, denen noch zu helfen ist. ... Leb auf ewig wohl!" Karoline Solmitz emigriert mit ihren Kindern in die USA.


Rudolf Timm und Christian Heuck (KPD)

Anfang 1934 melden Zeitungen zwei Selbstmorde aus der Haft in Neumünster: Die beiden kommunistischen Funktionäre Rudolf Timm und Christian Heuck sollen sich in ihren Zellen erhängt haben. Tatsächlich sind sie ermordet worden.

Christian Heuck (1892-1934) stammt aus Norderdithmarschen, tritt 1919 der KPD bei und ist von 1929 bis 1933 Reichstagsabgeordneter. Der bekannte KPD-Funktionär leitet zudem mehrere Unterbezirke seiner Partei. Aufgrund seiner Verwicklung in die "Blutnacht von Wöhrden" ist Heuck den Nationalsozialisten besonders verhasst. Aufgrund oppositioneller Aktivitäten verurteilt das Reichsgericht Leipzig Heuck am 27. Juni 1933 wegen "Vorbereitung zum Hochverrat" zu neun Monaten Gefängnis, die er in Neumünster verbüßt. Am 23. Februar 1934 dringen SS-Angehörige unter Führung des SS-Mannes Hinrich Möller in seine Zelle, misshandeln ihn schwer und ermorden ihn. Die fingierte Erhängung bescheinigt der Anstaltsarzt als Selbsttötung. Ähnlich haben die gleichen Akteure am 25. Januar 1934 den in Neumünster lebenden Kommunist Rudolf Timm (1901-1934) ermordet, weil er an einen blutigen Zwischenfall im November 1931 beteiligt gewesen sein soll. Auch in diesem Fall kooperiert die Anstaltsleitung mit den Mördern.

Der Anführer, der 1906 in Grevenkop geborene Kaufmannsgehilfe Hinrich Möller, will - wie er später aussagt - auf Befehl Heinrich Himmlers gehandelt haben. Er steigt nach den Morden schnell auf, wird 1937 Polizeichef in Flensburg, 1941 "SS- und Polizeiführer" im besetzten Estland und 1944 zum SS-Brigadeführer und Generalmajor der Polizei befördert. Das Landgericht Kiel verurteilt ihn im Dezember 1947 wegen dieser beiden Morde zum Tode, die Strafe wird 1948 in lebenslängliches Zuchthaus gewandelt, 1954 auf dem Gnadenwege auf 15 Jahre reduziert. 1958 kommt Möller frei. Weder hat er seine Mittäter angegeben, noch sucht die Justiz jemals ernsthaft nach ihnen.

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