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Glaube und Kirche © izrg

Das Verhältnis zwischen Kirchen und Nationalsozialismus: Naiv gedacht wird man von einer Institution, die maßgeblichen Einfluss auf das gesellschaftliche Werte- und Normensystem beanspruchten, Verhaltensmuster zwischen vorsichtiger Distanz und mutiger Mahnung erwarten. Doch die Verhaltensweisen einzelner Kirchenvertreter beziehungsweise Gruppen decken ein breites Spektrum zwischen aktiver Unterstützung, Anpassung, Selbstbehauptung und Widerstand ab. Ergebnisse und Urteile der Forschung zu diesem Teilthema sind kontrovers. Eine gründliche wissenschaftliche Aufarbeitung der schleswig-holsteinischen Kirchengeschichte im "Dritten Reich" findet erst seit Ende der 1980er Jahre statt; zuvor überwiegen Darstellungen beteiligter Zeitzeugen.

Im konfessionell geteilten Reich stehen 1933 etwa 1/3 Katholiken 2/3 Protestanten gegenüber. In Schleswig-Holstein leben die 3 % Katholiken als kleine Minderheit in der Diaspora; 92 % der Bevölkerung zählen zu den eigenständigen evangelisch-lutherischen Landeskirchen von Schleswig-Holstein, Eutin und Lübeck. Viele "Protestanten" begrüßen den "nationalen Aufbruch", "Lutheraner" setzen seit je auf starke, autoritäre "Obrigkeit". Bereits 1932 sind mehr als ein Viertel der schleswig-holsteinischen Pastoren Mitglieder der NSDAP. Viele, wie Johann Peperkorn, unterstützen die Partei aktiv, übernehmen also eine Trägerrolle. Die NSDAP setzt nach 1930/31 auf eine pragmatische Religionspolitik und drängt antichristlich-völkische Strömungen in den eigenen Reihen in den Hintergrund, weil sie auf dem Weg zur Macht einer offensichtlichen Gegnerschaft zu den Kirchen ausweichen möchte. Im März 1933 gibt auch die katholische Kirche ihre zunächst kritische Distanz gegenüber der NSDAP auf. Im Juli schließt der Vatikan ein "Reichskonkordat" mit der NS-Regierung, das durch Anpassung die Selbstbehauptung der katholischen Kirche im neuen Staat vertraglich garantieren sollte.

Im Juni 1933 setzt die preußische Regierung den "Deutschen Christen" (DC) und NSDAP-Parteigenossen Dr. Christian Kinder als schleswig-holsteinischen Staatsbevollmächtigten ein und hebt damit die kirchliche Selbstverwaltung auf. Zudem sind nun fünf der sechs Kirchenregierungsmitglieder NSDAP-Parteigenossen. Durch massive Unterstützung der NSDAP bei den Kirchenwahlen im Juli 1933 gewinnen die "Deutschen Christen" in den Gemeinden und auf der Landessynode, der so genannten "Braunen Synode" am 12. September 1933 in Rendsburg, Mehrheiten von über 90 %. Dort beschließen die Synodalen auch ihre eigene Entmachtung: Ein deutschchristlicher Landeskirchenausschuss leitet fortan die Geschicke der Kirche unter dem neuen Landesbischof und NSDAP-Mitglied Adalbert Paulsen, der sich im Oktober 1933 in einem Grußwort an die Gemeinden richtet: "Das Dritte Reich ist das Reich des heroischen Willens und des totalen Staates. Die Kirche kann in diesem totalen Staat und in diesem von Treue und tiefster Dankbarkeit getragenen Dritten Reich nur leben und wirken, wenn sie Geist von seinem Geist und Wille von seinem Willen ist." In der folgenden Zeit ersetzt Paulsen mehr als die Hälfte der 22 Pröpste durch "Deutsche Christen" Pastoren werden ihres Amtes enthoben aufgrund "nicht-arischer Abstammung" oder eines nicht "rückhaltlosen Eintretens für den nationalen Staat und die Deutsche Evangelische Kirche". In den Kirchen gehören nun Hakenkreuzfahnen und Gottesdienstbesucher in Partei- oder SA-Uniform zum alltäglichen Bild.

Abweichende Kirchenvertreter wie der Altonaer Pastor Hans Asmussen sehen sich staatlicher oder kirchenamtlicher Kontrolle ausgesetzt. Im September 1933 organisieren sich reichsweit Protestanten, die die Anpassung der Kirche an den NS-Staat ablehnen - "Kirche muss Kirche bleiben!" - im "Pfarrernotbund". Etwa 40 % aller evangelischen Pfarrer verweigern 1934 in der "Bekennenden Kirche" (BK) den "deutschchristlichen" Kirchenleitungen ihren Gehorsam; sie seien nur der Bibel und den reformatorischen Schriften verpflichtet. Auch die "Not- und Arbeitsgemeinschaft schleswig-holsteinischer Pastoren" mit knapp einem Drittel der Pastoren spricht ihrem Landesbischof offen das Misstrauen aus. Die "Bekennenden Kirchen" betonen, dass ihr Handeln rein innerkirchlich stattfinde und ausdrücklich keine Opposition zum NS-Staat, der auch "ihr" Staat sei, darstelle.

Grundsätzlich dauert diese auch "Kirchenkampf" genannte Kirchenspaltung trotz ausgleichender Bemühungen von Landesbischof Paulsen bis 1945 an. Die Auseinandersetzungen erlahmen aber während des Krieges in der nun von Dr. Kinder im Auftrag des Reichskirchenministers geführten Landeskirche. Während die "Bekennende Kirche" auf Reichsebene 1935 in einen gemäßigten und einen radikaleren Flügel zerfällt, der den NS-Staat nun auch - bezogen auf die Rassenideologie und Gegnerverfolgung - politisch kritisiert, bleibt die schleswig-holsteinische Bekenntnisgemeinde geeint, sehr zurückhaltend und unpolitisch. Wegen "heimtückischer" Äußerungen werden reichsweit über 800 BK-Pastoren verhaftet; in Schleswig-Holstein bleibt es bei kurzen Festnahmen, einigen vorzeitigen Pensionierungen sowie Kanzel- und Lehrverboten. Zwei Pastoren werden des Landes verwiesen, 1945 stirbt ein Pastor im Arbeitserziehungslager Nordmark.

Auch die ab 1937 zu Schleswig-Holstein gehörenden Landeskirchenregierungen von Eutin und Lübeck haben ihre Macht freiwillig an mehrheitlich "deutschchristliche" Ausschüsse abgegeben. Der Eutiner Probst Wilhelm Kieckbusch - ein antisemitischer Nationalkonservativer, aber kein "Deutschchrist" - führt die 1939 zu 60 % nationalsozialistische Pastorenschaft ohne Spaltung durch das "Dritte Reich"; zumindest bis 1939 gibt es in Eutin keine "Bekennenden". Unter dem Regiment des 1934 ernannten NS-Bischofs Erwin Balzer wächst Lübeck zu einer Hochburg des völkischen Christentums: 1936 zählen mehr als die Hälfte der 25 Pastoren zu den "Deutschen Christen" oder "Deutschkirchlern", 30 % zur "Bekennenden Kirche". Der "Kirchenkampf" tobt hier heftig: Balzer entlässt 1936 alle neun Bekenntnis-Pastoren, einer muss das Land verlassen, ein anderer kommt in "Schutzhaft", die restlichen sieben stehen unter Hausarrest. Ein Organist kommt sogar ins KZ Oranienburg. Später hebt das Landgericht die Entlassung der Pastoren auf.

Die vorgebliche Hinwendung der NSDAP zum Christentum hat auf rein taktischen Gründen beruht. Der Nationalsozialismus akzeptiert auf Dauer keine konkurrierenden Deutungsmuster, Weltanschauungen und Autoritäten. Ab Kriegsbeginn nehmen antikirchliche Maßnahmen des NS-Staates beständig zu, Katholiken und die "Bekennende" fürchten eine restlose Beseitigung des Christentums nach dem "Endsieg". Doch keine christliche Glaubengemeinschaft verfolgt das NS-Regime so hart wie die reichsweit etwa 25.000 bis 30.000 "Zeugen Jehovas": circa 10.000 werden inhaftiert, mindestens 1.000 als Kriegsdienstverweigerer ermordet oder sie sterben durch die - von den Amtskirchen gutgeheißene - Verfolgung in Haftanstalten oder Konzentrationslagern.

Auch wenn sich die katholische Kirche weniger anpasst als die protestantische: Beide Amtskirchen leisten keinen Widerstand gegen den NS-Staat. Auch die "Bekennende Kirche" unterscheidet sich in ihrer Haltung zum Nationalsozialismus nur graduell von ihren innerkirchlichen Gegnern. Hinsichtlich der NS-Rassepolitik werden die Kirchen als ihrer moralischen Verantwortung nicht gerecht; religiös begründeter Antisemitismus ist in den Kirchen tief verwurzelt: Von vorsichtigen Hinweisen auf Menschenrechtsverletzungen in drei katholischen "Hirtenbriefen" abgesehen, schweigen kirchliche Institutionen bis 1945 zur Verfolgung und Ermordung der (nicht-getauften) "Juden", aber auch von Sinti und Roma und so genannten "Asozialen". Einzig das Eintreten des katholischen Bischofs Clemens August Graf von Galen aus Münster im Sommer 1941 gegen die "Euthanasie" trägt mit zu deren offizielle Einstellung bei. Einige kirchliche Zirkel, auch in Kiel, bieten - vor allem getauften - "Juden" Hilfestellungen bei der Auswanderung, manchmal auch beim Untertauchen. Einzelne Christen wie der Bekenntnispfarrer Dietrich Bonhoeffer leisten jedoch individuellen Widerstand unterschiedlichster Form, vom Verteilen verbotener Schriften über Hilfe für Verfolgte bis zu politischen Umsturzplänen. Wie schwierig die Zuordnungen zu den einzelnen Gruppierungen und ihre Bewertung ist, zeigt sich an Pastor Karl Friedrich Stellbrink, einem der "Lübecker Geistlichen": Dieser für sein Handeln mit dem Tode bestrafte Geistliche ist ausgerechnet ein ehemaliger "Deutschkirchler", der sich zum NS-Gegner wandelt.

Siehe auch:

Die Wandsbeker Kirche

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