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Klatsch am Rande einer Beerdigung © izrg

Beerdigungen sind in dörflichen Gesellschaften soziale Ereignisse besonderer Art: Hier treffen verstreut lebende Großfamilien zusammen, die Dorfgemeinschaft versammelt sich. Wird ein ehemaliger Amtsvorsteher bestattet, findet such auch die regionale Elite ein. Da wird geredet, geklatscht und politisiert. So auch am 8. Juni 1936 irgendwo in Angeln. Mit dabei ist Peter Jensen aus Ausacker, ein angesehener "Erhbof"-Besitzer, ehemals Kreisführer des deutschnationalen "Stahlhelm".

Er mutmaßt, warum "Gauleiter" und Oberpräsident Hinrich Lohse wie von der Bildfläche verschwunden scheint: "Lohse ist wegen Weibergeschichten geflohen, und man sagt sogar, dass er an der schweizerischen Grenze verhaftet sein soll." Der - falsche, denn Lohse liegt in einer Klinik - Tratsch erreicht auf Umwegen auch den NSDAP-Kreisleiter und Landrat von Flensburg, Claus Hans. Dieser meint, dass damit "eine schwere Gefährdung ... des Ansehens des in der Grenzmark führendes Staatsmannes und Politikers" vorliegt. Damit ist eine Staatsaffäre geboren, die in den nächsten Monaten die Gendarmerie, die Gestapo, den Landrat, den Regierungspräsidenten, das Amtsgericht in Flensburg, das schleswig-holsteinische "Sondergericht" in Altona, den Oberpräsidenten und seinen Vizepräsidenten sowie schließlich den Reichsjustizminister beschäftigen wird.

Peter Jensen wird zunächst in "Schutzhaft", dann Untersuchungshaft genommen und schließlich wegen "Verstoßes gegen das Heimtückegesetz in Tateinheit mit übler Nachrede" zu sechs Monaten Gefängnisstrafe verurteilt, die er im Kieler Gefängnis absitzt. Peter Jensen senior, ein ehemaliger Landesökonomierat mit guten Verbindungen zum Regierungspräsidenten Anton Wallroth, bemüht sich um die Freilassung seines Sohnes, auch mit einem betont unterwürfigen Brief an den "verletzten" Hinrich Lohse. Am 3. Oktober 1936 bittet Lohse tatsächlich den Reichsminister der Justiz, "Gnade vor Recht" ergehen zu lassen. Jensen wird am 30. Oktober 1936 aus dem Gefängnis entlassen und die Reststrafe auf drei Jahre Bewährung ausgesetzt.

Peter Jensen ist alles andere als ein Widerstandskämpfer: Weder tritt er für republikanische Freiheiten ein, noch kritisiert er die NS-Ideologie. Als "Stahlhelmer" liegt er mit seinen Idealvorstellungen allenfalls knapp neben der NS-Realität, vielleicht wünschen sich sein Vater und er eine etwas traditionellere und seriösere, aber gleichwohl autoritäre Staatsform. Peter Jensen kennt übrigens Lohse und andere schleswig-holsteinische NS-Spitzen als Akteure aus gemeinsamen Kämpfen gegen das "Weimarer System". Offensichtlich hält er von Lohse persönlich nicht viel. Als angesehene und wohlhabende Angehörige der tradierten ländlichen Elite nörgeln die Jensens über die nationalsozialistischen "Emporkömmlinge". Das ist alles, und es reicht zum Zuschlagen staatlicher Organe mit fast allen Mitteln der "Gegnerbekämpfung".

Die unsouverän-harte Reaktion der NS-Machthaber gerade auf jene, die der NSDAP ideologisch am nächsten standen, besitzt eine einfache Ursache: Traditionell hatten Organisationen wie DNVP und "Stahlhelm" die ländlichen und kleinstädtischen Eliten Schleswig-Holsteins gebunden. Entsprechend selbstbewusst begegneten sie oft den "NS-Aufsteigern", die besonders empfindlich reagieren und ihre ganze neue Macht ausnutzen:. Klatsch am Rande einer Beerdigung kann sich so zur Staatsaffäre auswachsen.

Peter Jensen wird in der Bundesrepublik CDU-Landtagsabgeordneter, Kreispräsident und Präsident der Landwirtschaftskammer Schleswig-Holstein.

Siehe auch:

"Schutzhaftbefehl"

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