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Am 23. Juni 1943 verurteilt der in Lübeck tagende 2. Senat des "Volksgerichtshofs" (VGH) den Pastor der evangelischen Lutherkirche zu Lübeck, Karl Friedrich Stellbrink (1894-1943) sowie die drei Kapläne der katholischen Herz-Jesu-Gemeinde, Johannes Prassek (1911-1943), Hermann Lange (1912-1943) und Eduard Müller (1911-1943) zum Tode. Am Tag darauf werden 18 katholische Laien als "Verführte" freigesprochen oder verurteilt zu geringen Haftstrafen, die mit der Untersuchungshaft abgegolten sind. Der Geschäftsführer der katholischen Gemeinde, Adolf Ehrtmann, muss allerdings für fünf Jahre ins Zuchthaus.

Nach einer Denunziation wird der protestantische Pastor Stellbrink im April 1942 verhaftet: Er habe in einer Predigt den verheerenden Bombenangriff auf Lübeck als mächtige Warnung Gottes interpretiert. Doch dies ist wohl nur der letzte Anlass dafür, den NS- und Kriegsgegner Stellbrink endlich zum Schweigen zu bringen. Es ist derselbe Stellbrink, der in den 1920ern während seiner Zeit als Seelsorger deutscher Siedler in Brasilien zunächst ein so glühender Anhänger der Nationalsozialisten wird, dass er nach seiner Rückkehr ins Reich dem "Bund für deutsche Kirche" beitritt und 1930 NSDAP-Mitglied wird. Doch er durchschaut im Laufe der 1930er Jahre die Kirchenfeindlichkeit der Nationalsozialisten und scheut sich immer weniger, Kritik zu äußern. 1937 erfolgt deshalb der Parteiausschluss. Nach Kriegsbeginn steigert er seine oppositionellen Aktivitäten: Er gibt Informationen aus "feindlichen" Rundfunksendungen weiter, hortet Kupfermünzen, damit sie nicht zu Rüstungszwecken eingeschmolzen werden können, und pflegt offen Kontakte zu jüdischen Nachbarn. Obwohl gewarnt, verhehlt er in seinen Predigten seine Distanz zum NS-Staat nicht. Besonders riskant ist die Verteilung verbotener Schriften gegen die NS-Kirchenpolitik und Euthanasie, im Sommer 1941 darunter auch die deutlichen Predigten des katholischen Bischofs von Münster, Graf von Galen.

Zu dieser Zeit lernt Stellbrinck den katholischen Kaplan Prassek kennen, der mit seinem Kollegen Lange ebenfalls Papiere vervielfältigt und weitergibt. Die drei sprechen fortan viel miteinander, tauschen verbotene Schriften aus. Es ist kein Zufall, dass Stellbrinks mutige Opposition im protestantischen Lübeck ihn ausgerechnet mit drei katholischen Geistlichen zusammenbringt: Der traditionell zum deutschen Staat auf Distanz stehende Katholizismus passt sich dem NS-System weniger an als der autoritär und obrigkeitsfreundlich geprägte lutherische Protestantismus. Über 90 % der fast 450 während des Kriegs in KZ gebrachten Geistlichen sind Katholiken!

Prassek, Lange sowie ihr Kollege Müller geben seit 1940 in ihren verschiedenen christlichen Gesprächskreisen, die sie trotz des Verbots kirchlicher Verbandsarbeit am Leben halten, Nachrichten von "Feindsendern" weiter. Außerdem reden sie hier auch über deutsche Kriegsverbrechen in Polen, denkbare Kriegsdienstverweigerung und den Behindertenmord. Besonders Prassek bezieht in den Debatten – jedoch auch in seinen Predigten – freimütig Stellung gegen die NS-Politik. Immer können Spitzel oder Denunzianten unter den Gottesdienstbesuchern sein. Doch Prassek meint: "Wir Priester wenigstens müssen den Mut haben, die Wahrheit zu sagen, sonst glauben die Leute, alles wäre in Ordnung. Was können sie mir schon tun? Höchstens einen Kopf kürzer machen." Am 28. Mai 1942 passiert, worauf Prassek schon lange eingestellt ist: Die Gestapo durchsucht seine Räume in der Herz-Jesu-Gemeinde und verhaftet ihn: Ein Gesprächskreisteilnehmer hat ihn denunziert. Zwei Wochen später wird Lange verhaftet. Schließlich ereilt Müller einige Tage später das gleiche Schicksal. Dann werden die Laien festgenommen, weil sie angeblich ebenfalls verbotene Schriften verteilt haben. Die Geistlichen darben fast ein Jahr in kleinsten Zellen im Lübecker Burgkloster, ehe ihnen der Prozess gemacht wird. Einige beherzte Frauen aus der Herz-Jesu-Gemeinde unterstützen sie.

Der Prozess vor dem reisenden "Volksgerichtshof" findet im Juni 1943 unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Nur der Urteilsverkündung dürfen Angehörige beiwohnen. Das Urteil der Kapläne unterstreicht, sie hätten mit der Verbreitung verbotener Informationen – teilweise aus dem "feindlichen" Rundfunk – "die Feindpropaganda gefördert" und "Hetze gegen den nationalsozialistischen Staat" betrieben sowie sich der "Wehrkraftzersetzung" und der "Vorbereitung zum Hochverrat" schuldig gemacht. Alle vier Geistlichen nehmen auch in der Haft nicht von ihren aufgeklärt-kritischen Überzeugungen und oppositionellen Aktivitäten Abstand. Da die NS-Herrschaft in der Außendarstellung nicht kirchenfeindlich erscheinen will, wird die politische Dimension der Vergehen betont. Nach nur zwei Prozesstagen spricht das Gericht die Angeklagten schuldig. Sie werden laut Urteil als "hartnäckige, fanatisierte und gänzlich unbelehrbare Hasser des nationalsozialistischen Staates" und "Verbrecher am Volksganzen" zum Tode verurteilt.

Juristisch wären wesentlich mildere Strafen möglich gewesen, die Verurteilung wegen versuchten Hochverrats entbehrt jeder Grundlage. Im Fall Müller ist das Unrecht besonders augenscheinlich: Ihm kann lediglich die Diskussion einer Predigt des Bischofs von Galen in seinen Gesprächskreisen nachgewiesen werden. Selbst nach nationalsozialistischem "Recht" ist er unschuldig, weshalb er auch mit einem Freispruch rechnet.

Die katholische Kirchenleitung, insbesondere der Bischof von Osnabrück, Wilhelm Berning, begleitet ihre drei Kapläne – und auch den Protestanten Stellbrink – nach der Verurteilung: Sie übernimmt die Verfahrenskosten, versucht direkt in Berlin zu intervenieren, Hafterleichterungen zu erreichen, stellt ein Gnadengesuch. Nach 1945 hält sie die Erinnerung an sie wach. Weder Stellbrink noch seine Familie erfahren von ihrer Kirche irgendeine Form der Unterstützung: Die nationalsozialistische Lübecker Kirchenführung betreibt schon vor der Verhaftung die Entlassung des kritischen Stellbrink, nun lehnt sie es ab, ein Gnadengesuch für den "Volksverräter" einzureichen; die Familie verarmt. Die offizielle Rehabilitierung durch die Kirchenführung und die Aufhebung des Urteils erfolgen erst 1993 – 50 Jahre nach dem Unrechtsurteil!

Nach vier Monaten in der Todeszelle am Holstenglacis in Hamburg erfahren die Verurteilten am 10. November 1942, dass die Urteile am selben Abend durch das Fallbeil vollstreckt werden. Ruhig und tapfer gehen sie ihren letzten Weg. Abschiedsbriefe von Eduard Müller und Hermann Lange bezeugen die Gelassenheit, die in tiefstem Glauben wurzelt.

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Eduard Müller
Karl Friedrich Stellbrink
Johannes Prassek
Biskop Clemens August Graf von Galen
Overleveret fra Johannes Prassek.
Hermann Lange

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