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Häftlingsflotte © izrg

Am 18. April 1945 beginnt die SS auch das bisher selbst als Evakuierungsziel aufgelöster Konzentrationslager geltende KZ Neuengamme bei Hamburg vor der anrückenden Front zu räumen. In der Folge kommen täglich Häftlingsschübe nach Lübeck. Bewacher pferchen ab dem 20. April circa 10.000 Gequälte auf den Schiffen "Cap Arcona", "Thielbeck" und "Athen" zusammen. Die Erstgenannten sind nicht mehr manövrierfähig und deshalb nicht mehr in die Rettungsmaßnahmen für deutsche Flüchtlinge aus den östlichen Gebieten einbezogen, die "Athen" pendelt und bringt immer mehr Häftlinge an Bord. In die Neustädter Bucht geschleppt, liegt die "Häftlingsflotte" hier vor Anker. Höchstwahrscheinlich beabsichtigt die SS, die Schiffe später auf See zu versenken.

Allein die Lebensbedingungen an Bord sind mörderisch. Der Franzose Francois Hochenaer erinnert sich später an die unsäglichen Zustände: "Jeden Morgen waren die Planken buchstäblich von Leichen übersät, welche die Deutschen im Laufe des Tages mit Tauen hochzogen und entfernten. Alle diese armen Körper trugen dieselben Merkmale in den vollkommen skelettierten Gesichtern."

Am 3. Mai beordert man die "Athen" in den Hafen von Neustadt, um weitere KZ-Häftlinge aus Stutthof aufzunehmen. Zum Glück der 2.400 Häftlinge an Bord, denn zu Wasser bahnt sich jetzt eine furchtbare Katastrophe an: Zwar haben britische Militärstellen vom "Roten Kreuz" erfahren, dass ungekennzeichnete schwimmende KZs in der Ostsee treiben, aber die Nachricht wird nicht hinreichend kommuniziert. Jedenfalls erreicht sie nicht die ausrückenden britischen Fliegerstaffeln. Annehmend, an Bord befänden sich Nationalsozialisten, die nach Schweden fliehen wollen, bombardiert die britische "Royal Air Force" an jenem 3. Mai 1945 um 14.30 Uhr die Häftlingsflotte. Die "Thielbek" mit 2.500 Menschen sinkt in 15 Minuten, während die "Cap Arcona" mit 5.000 Menschen an Bord in Seitenlage langsam ausbrennt. Die Kriegsmarine folgt dem Befehl, nur SS-Männer und Schiffsmannschaften zu retten. Erst am Abend, die Briten haben ungefähr um 16.00 Uhr Neustadt eingenommen, senden die Besatzer das Schiff "Neustadt" zum brennenden Wrack: Nur 450 Überlebende können gerettet werden. 3.000 Leichen bleiben im Wasser, 4.000 werden an Land gespült und in den Folgetagen in Massengräbern bestattet.

Weder die Erschießungen am Vormittag noch die unterlassene Hilfeleistungen am Nachmittag werden je strafrechtlich geahndet. Zeugenaussagen sind widersprüchlich, es wird viel geschwiegen. Nicht einmal massive Hinweise auf Kapitänleutnant Z., den Chef der örtlichen Marine-Versehrtenkompanie, führen zu einer Anklage. In den 1990er Jahren versucht die Lübecker Staatsanwaltschaft noch einmal vergeblich zu ermitteln. Jetzt ist es zu spät. Ob die deutschen Ermittlungen 1948 bis 1950 oder die ersten Untersuchungen der britischen Besatzungsbehörden im Jahr 1945 engagiert genug geführt wurden, ist unklar. Günter Grass nimmt im Roman "Die Rättin" eindeutig Stellung: "Und auch in England redet kein Schwein davon. War ein Unglücksfall, fertig."

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