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"Manneszucht" über die Kapitulation hinaus © izrg

"Wir werden nun die letzten Opfer dieses Krieges sein, auch umsonst, wie so viele Gefallene." Das schreibt der 20-jährige Marinefunker Alfred Gail am 10. Mai 1945 an Bord des in der Geltinger Bucht liegenden Marine-Begleitbootes "Buéa", eine Stunde vor seiner Hinrichtung und fünf Tage nach der Kapitulation seiner Marineführung. Gail und drei andere junge Matrosen haben geglaubt, dass auch für sie der Krieg und die Befehlsstrukturen beendet seien. Darauf versuchen sie am 6. Mai, dem Tag nach Inkrafttreten der Teilkapitulation im Norden, vergeblich, der englischen Gefangenschaft zu entgehen und einfach von Svendborg in Dänemark nach Hause zu gelangen. - Ein persönliches Kriegsende, das übrigens vielen Wehrmachtssoldaten irgendwie gelingt.

Von Dänen aufgegriffen, dann der deutschen Marine übergeben, stehen diese vier aber am 9. Mai 1945, die Gesamtkapitulation ist an diesem Tag in Kraft getreten, vor einem "Marinekriegsgericht" an Bord ihrer "Buéa". Ihr Heimkehrversuch wird als "Fahnenflucht" nach § 69 des Militärstrafgesetzbuchs gewertet. Der Ankläger, Kapitänleutnant von Dresky, beantragt viermal Todesstrafe. Marinerichter Adolf Holzwig folgt ihm in drei der Fälle. Ihm geht es, wie er später ausführt, um die "Manneszucht", und in der Erinnerung an die "Meuterei" in Kiel 1918 darum, "eine Wiederholung derartiger Zustände auf jeden Fall zu verhindern".

Diese von Kiel ausgegangene Revolution 1918 stellt für die NS-Führung und die Marine selbst ein Trauma dar: So etwas dürfe sich nie wiederholen, um keinen Preis. Der Historiker Manfred Messerschmidt schätzt die Zahl der deutschen Todesurteile wegen Fahnenflucht auf 15.000, jedes zehnte, so der Forscher Norbert Haase, hat ein Marinekriegsgericht gefällt. Das Geschehen in der Geltinger Bucht ist nur ein Beispiel von vielen. Um die deutsche Wehrmacht geordnet zu entwaffnen und Kriegsgefangenenlager ökonomisch zu verwalten, lassen die alliierten Besatzungsbehörden das deutsche Militärstrafrecht bis 1946 in Kraft. Allein bis August 1945 führen Marinefeldgerichte noch 750 Verfahren, mehr als 400 wegen "Fahnenflucht".

Am 10. Mai werden die Matrosen Alfred Gail, Fritz Wehrmann und Martin Schilling nach der Urteilsbestätigung durch den Kommodore der Schnellbootflotte, Rudolf Petersen, von einem Hinrichtungskommando unter Kapitän zur See Merkel vor den Augen der angetretenen Mannschaft der "Buéa" erschossen, anschließend mit Gewichten beschwert im Wasser versenkt. Alfred Gail hat in seinem Abschiedsbrief an die Eltern noch geschrieben: "Aber glaubt mir, ich bin kein Verbrecher, wenn man mir auch jetzt die Ehre genommen hat... Bei dieser Verhandlung habe ich die Gerechtigkeit so richtig als Hohn empfinden können". Der Justizhohn setzt sich fort: Im Februar 1953 ist nach einem letzten Verfahren vor dem Landgericht in Hamburg auch der letzte beteiligte Marinerichter Holzwig freigesprochen. Schon am 29. Mai 1952 hat ihm der Bundesgerichtshof bescheinigt, "in einem ordnungsgemäßen Verfahren das sachliche Recht verwirklicht" zu haben.

Heute erinnert ein Gedenkstein neben der Seebadeanstalt von Norgaardholz an den Tod der drei Matrosen.

Siehe auch:

Siegfried Lenz: "Ein Kriegsende"
Alfred Gail

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