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Entnazifizierung © izrg

"Als ich vor nunmehr fast 2 Jahren in den ersten E-Ausschuss berufen wurde, übernahm ich die schwere Arbeit in dem festen Bewusstsein, beim Wiederaufbau Deutschlands hierdurch mithelfen zu können. Vom ersten Tage bis heute habe ich mich bemüht, einen klaren antifaschistischen Standpunkt zu vertreten, trotz aller persönlichen Angriffe, die ich erfahren musste. In immer stärkerem Maße musste ich aber erkennen, dass die politische Entwicklung letzten Endes doch andere Formen annahm."

Mit diesen Worten bittet der Unternehmer Julius Leppien aus Pinneberg am 6. Januar 1948 darum, aus dem Entnazifizierungsausschuss ausscheiden zu dürfen. Manch einer jener aufrechten deutschen Demokraten und "Antifaschisten", die in "Entnazifizierungsausschüssen" mitwirken, verbittert, als er sich in der Rolle des abgelehnten Denunzianten fühlt und erkennen muss, dass scheinbar kaum jemand ein wirkliches Interesse an der Vergangenheitsbewältigung hat. Die "Entnazifizierung" konnte, so wie sie angelegt war, offenbar nur scheitern: Weil "der Fragebogen" Hunderttausenden vorgelegt wird, weil das Verfahren Betroffene nötigt, mit "Persilscheinen" nachzuweisen, wie gut sie gehandelt haben, weil Fremde besser "schummeln" können, weil die großen Fälle zunächst aufgeschoben werden, fühlen sich die vielen kleinen "Mitläufer" zu Unrecht belangt und verbrüdern sich mit den ehemaligen NS-Eliten.

Die "Entnazifizierung" bestimmt die öffentlichen Debatten der Jahre 1946 bis 1951, denn fast jede Familie im Land fühlt sich von diesem soziologischen Großversuch der Alliierten betroffen, der der "politischen Säuberung" dienen soll. Das hunderttausendfache Ritual lautet: Fragebogenauswertung nach formalen Kriterien, Berücksichtigung von Leumundzeugnissen, so genannten "Persilscheinen", also abwägende Einzelfallprüfung. Zur Jahreswende 1945/46 ernennt die britische Militärregierung beratende deutsche Entnazifizierungsausschüsse, die Empfehlungen für oder gegen eine Entlassung vornehmen. Ab April 1946 können Betroffene Überprüfungen der Verfahren beantragen. Ab 1948 gelten auch in Schleswig-Holstein die Kategorisierung in I. Hauptschuldige, II. Schuldige, III. Belastete, IV. Mitläufer und V. Entlastete. Als einziges Land in der britischen Zone schafft Schleswig-Holstein Anfang 1948 ein "Gesetz zur Fortführung und zum Abschluss der Entnazifizierung". Insgesamt "entnazifiziert" man im Massenverfahren hier circa 406.500 Menschen, nur 2.217 stuft man in Kategorie III ein, was Sanktionen wie Geldstrafe, Entlassung und Einschränkung der Pensionsansprüche bedeuten kann. Die restlichen verteilen sich auf die Kategorien "Mitläufer" und "Entlastete", oder sie werden als "nicht betroffen" aus dem Verfahren entlassen. Als "hauptschuldig" oder "schuldig" gilt in Schleswig-Holstein niemand. Der schleswig-holsteinische Landtagswahlkampf 1950 stand ganz im Zeichen der "Schlussstrich"-Politik. Mit dem "Gesetz zur Beendigung der Entnazifizierung" stellt Schleswig-Holstein im März 1951 die verbliebenen "Belasteten" und "Mitläufer" automatisch mit "Entlasteten" gleich, alle Sanktionen sind hinfällig. Der ehemalige "Gauleiter" und Oberpräsident Schleswig-Holsteins Hinrich Lohse gilt nach der vorzeitigen Haftentlassung nur als "belastet"; Lübecks NS-Polizeipräsident und "SS- und Polizeiführer" in Lettland Walter Schröder lediglich als "Mitläufer"; vor dem Hintergrund ihrer Führungsrollen in Schleswig-Holstein und im "Reichskommissariat Ostland" sind diese Einordnungen absurd.

Siehe auch:

Innenminister Paul Pagel
Bad Oldesloe 1949
"Entnazifizierung"

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