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Personalpolitischen "Rollback" © izrg

Im Kabinett des Ministerpräsidenten Walter Bartram (CDU) ab 1950 hat nur ein Regierungsmitglied, nämlich Innenminister Paul Pagel, kein NSDAP-Mitgliedsbuch besessen. Sozialminister Hans-Adolf Asbach (BHE) ist Kreishauptmann in Galizien gewesen und gerät später unter dringenden Massenmordverdacht. Als Chef der Landeskanzlei, also personalpolitische "Spinne im Netz", ernennt Ministerpräsident Bartram seinen Schulfreund Dr. Ernst Kracht, ehemaliger Flensburger NS-Oberbürgermeister und treuer Gefolgsmann des schleswig-holsteinischen "Gauleiters" Hinrich Lohse. In der 1950 erlangten neuen Schlüsselrolle verbleibt er bis 1958. Sogar im Kabinett Bartram gilt dieses bemerkenswerte Symbol als strittig.

Die (ausgebliebenen) personellen Konsequenzen der "Entnazifizierung" werden verschiedentlich als schleswig-holsteinische "Sonderentwicklung" oder als "Renazifizierung" bewertet. Die Forschungen von Klaus-Detlef Godau-Schüttke belegen beispielsweise das Scheitern der "Entnazifizierung" im Bereich der Justiz. Aufgrund des Mangels an ausgebildeten und formal entlasteten Juristen wendet die britische Besatzungsmacht von Beginn an die "Huckepack-Regel" an: Zusammen mit jedem "Entlasteten" stellt man einen "Belasteten" wieder ein. In Folge des "Bundesausführungsgesetz zum Artikel 131 des Grundgesetzes" erhalten ab 1951, von vereinzelten Ausnahmen abgesehen, alle ehemaligen Angehörigen des Öffentlichen Dienstes den Wiedereinstellungs- beziehungsweise verbesserten Versorgungsanspruch zugesprochen. Damit tritt ein finanzpolitisch verursachter Sog ein: Weil mit der neuen Rechtslage zahlreiche "131er" ohnehin auf den Gehaltslisten des Landes stehen, bemüht man sich, sie so schnell als möglich wieder auf Planstellen des Öffentlichen Dienstes zu setzen; bevorzugt sie sogar Anderen, Unbelasteten gegenüber. Aufgrund des Personalmangels und des "131er"-Druckes schultert in Schleswig-Holstein bald jeder "Entlastete" zwei noch als "belastet" eingestufte ehemalige NS-Juristen. Der ehemals als Sozialdemokrat und Jude verfolgte, 1947 bis 1950 amtierende Justizminister Rudolf Katz hat durchaus für den demokratischen Neuanfang gestanden, sich aber sehr tolerant und nachsichtig gegenüber karrierebereiten NS-Belasteten gegeben. Bereits im Juli 1945 hat die britische Militärregierung mit Dr. Paul Thamm einen Mann zum Leiter der Kieler Staatsanwaltschaft ernannt, der seit 1937 zahlreiche Anklagen vor dem NS-Sondergericht vertreten hat, nun jedoch eine Legende als später Widerstandskämpfer verbreitet.

Die schleswig-holsteinische Nachkriegsgesellschaft macht Angehörigen der ehemaligen NS-Funktionseliten großzügige gesellschaftliche Integrationsangebote. Im gesamten Öffentlichen Dienst gibt es Wiedereinstellung und Fortsetzung von unterbrochenen Karrieren. An der Landesuniversität in Kiel und an Pädagogischen Hochschulen lehren Professoren, die viel Mühe darauf verwenden, ihre Publikationen aus der NS-Zeit zu verbergen; einzelne Mediziner und - ausgerechnet - Vertreter der Pädagogik und Geschichte haben bis hin zu Mordaktionen einiges mehr zu vertuschen. Sämtliche Staatsanwälte und Richter des "Sondergerichts", das NS-Unrecht gesprochen hatte, sind Mitte der 1950er wieder im Dienst, sofern sie nicht das Pensionsalter erreicht oder das Land verlassen haben. 1966 ist jeder vierte der 260 "Oberbeamten" im Polizeidienst irgendwie als Tatverdächtiger in NSG-Ermittlungen einbezogen. Nur die alten NS-Parteispitzen gelten als nicht mehr gesellschaftsfähig. Leute wie den ehemaligen "Gauleiter" Hinrich Lohse meidet man, lässt sie aber gleichzeitig strafrechtlich weitgehend in Ruhe, wohl auch deshalb, um nicht die "Büchse der Pandora" zu öffnen, also eine Lawine an Anschuldigungen loszutreten.

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