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"Wiedergutmachung" - "Sieg der Sparsamkeit" © izrg

"Vergangenheitsbewältigung" im Schleswig-Holstein der Nachkriegszeit beinhaltet auch "Wiedergutmachung", also den Versuch, Verfolgte für Unrecht und erlittenes Leid der NS-Zeit zu entschädigen. Es handelt sich dabei entweder um Rückerstattungen entzogener Besitztümer oder um Entschädigungszahlungen für erlittene Schäden an Leben, Freiheit, Gesundheit oder beruflicher Karriere, sofern all diese Schädigungen auf rassische, nationale, religiöse oder politische Verfolgungsmaßnahmen während der NS-Zeit zurückzuführen sind. In dem bezeichnenden Begriff "Wiedergutmachung" klingen kindliche Sehnsüchte der deutschen Nachkriegsgesellschaft nach einem Ungeschehen-Machen oder Reparieren der zumeist nicht zu behebenden "Schäden" mit: Alles sollte wieder gut werden, der "Spuk" des Nationalsozialismus vergessen sein.

Dazu richten die Kreise auf Anordnung der britischen Militärregierung zunächst so genannte "Sonderhilfsausschüsse" ein, an die sich Verfolgte der NS-Zeit wenden können. Mit spärlichen kommunalen Mitteln ausgestattet, befinden diese Ausschüsse - in denen auch Vertreter der Verfolgten mitwirken - darüber, ob Antragsteller als "Opfer des Nationalsozialismus" (OdN) anzuerkennen seien, ob ihnen also eine Hilfszahlung oder gar eine "OdN-Rente" zustehe. Seit 1948 regeln Landesgesetze die Verfahren, ab 1953 die Bundesgesetzgebung. Im Gegensatz zu Versorgungsleistungen für Kriegsopfer oder ehemalige Angehörige des Öffentlichen Dienstes sind Entschädigungszahlungen lediglich ergänzender Natur, setzten also Bedürftigkeit voraus. Auch spielen Ansehen und Würdigkeit der Person eine entscheidungsrelevante Rolle. Auf diese Weise von Beginn an nicht vergessen, sondern gezielt ausgegrenzt werden "Asoziale", "Zigeuner" oder auch Zwangssterilisierte und Homosexuelle, die durch Eingriffe in ihre Gesundheit oder KZ-Haft noch so sehr gelitten haben mögen. Allerdings deckt sich diese staatliche Sicht mit jener der ehemals politisch oder rassisch Verfolgten, die nicht noch ein zweites Mal mit "Verbrechern" oder "Asozialen" auf eine Stufe gestellt werden wollen. In Schleswig-Holstein grenzt man aber Kommunisten nicht als "unwürdig" aus.

Der Historiker Heiko Scharffenberg konstatiert für die Wiedergutmachung in Schleswig-Holstein ab 1950 einen "Zielwechsel vom Helfen zum Sparen", der in den "Sieg der Sparsamkeit" mündet: Während die kommunalen Sonderausschüsse sich anfangs ernsthaft um NS-Opfer bemühen, wird die Wiedergutmachung vor allem mit der Bundesgesetzgebung in den 1950er Jahren nicht nur zu einem extrem komplizierten Feld der Rechtsprechung, sondern zur unpersönlichen bürokratischen Entscheidungsfindung, auf die Opfer oft viele Jahre hinleben, um schließlich doch enttäuscht zu werden. Immer nur mit knappen Mitteln ausgestattet, handeln die Behörden ausgerechnet während der Entfaltung des "Wirtschaftswunders" immer schleppender und unter den zunehmenden Weisungen von Finanzministerien. Ein Vergleich zu den Versorgungsleistungen für ehemalige und nicht wieder eingestellte Angehörige des Öffentlichen Dienstes im NS-Staat, die so genannten "131er", zeigt auf, wie ungleich Täter und Opfer behandelt werden: 1958 zahlt das Land Schleswig-Holstein im Jahresdurchschnitt 2.239 DM an anerkannte "Opfer des Nationalsozialismus", hingegen 5.241 DM für einen "131er", noch 1993 zeigt die Relation mit 11.863 DM zu 23.404 DM Stabilität. Der engagierte Leiter des "Landesentschädigungsamtes" Hans Sievers äußert sich 1952 dazu: "Mit Recht weisen sie (die Verfolgten) darauf hin, dass für die so genannten 131er genügend Geld vorhanden ist. Die von der Landesregierung vertretende Politik der allgemeinen Befriedung wird gefährdet, wenn die ehemals politisch Verfolgten immer wieder gegenüber früheren Mitgliedern der NSDAP benachteiligt werden."

In Wiedergutmachungsverfahren beauftragte medizinische Gutachter und beteiligte Juristen müssen in vielen Fällen als ehemalige NS-Schergen gelten. Dass ab 1957 mit Karl-August Zornig ein ehemaliges NSDAP-Mitglied das zuständige "Landesentschädigungsamt" leitet, bildet ein weiteres Symbol.

Siehe auch:

Wiedergutmachung
Ministerpräsident Kai-Uwe von Hassel

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