v i m u . i n f o
Dansk version
grenzen politik wirtschaft gesellschaft kultur meer

Der Lebensabend des Hinrich Lohse © izrg

"Der Betroffene hat ... einen Beweis seiner Beherrschung der Verwaltungskunst erbracht, wie sie nicht oft zu finden ist." So urteilt der "Entnazifizierungshauptausschuss Kiel" im Jahr 1951 über Schleswig-Holsteins Ex-NSDAP-Gauleiter und -Oberpräsident Hinrich Lohse. Dieser habe sich "subjektiv und objektiv von den Maßnahmen einer übertriebenen Gewaltherrschaft distanziert", er sei daher nur als "Belasteter" (Kategorie III) einzustufen und ihm ein reduziertes Ruhegehalt zu zahlen. Am Ende bezieht Lohse tatsächlich eine öffentliche Rente. - Eine skandalös anmutende Entscheidung bei Lohses Vorgeschichte in Schleswig-Holstein wie im "Reichskommissariat Ostland".

Rückblende: Am 25. Mai 1945 nehmen britische Soldaten Lohse fest. 1948 fällt das von der Militärregierung eingesetzte "Spruchgericht" in Bielefeld aufgrund seiner Kenntnis von organisierten NS-Verbrechen ein ausdrücklich vorläufiges Urteil: Höchststrafe, zehn Jahre Gefängnis und Vermögenseinzug. 1947 bis 1950 ermittelt die Kieler Staatsanwaltschaft wegen eventuell anzulastender konkreter Taten. Gemessen an den Dimensionen von Lohses Rolle erstaunlich chaotisch, hilflos und fehlerhaft. 1950 hieß es: Einstellung. Bereits im Februar 1951 entlässt man Lohse als "dauernd haftunfähig" vorzeitig und endgültig in die Freiheit.

Sechs Jahre nach Kriegsende ist er wieder im Land, verfolgt fortan seine juristische, soziale und historische Rehabilitierung und verlebt dabei einen bemerkenswert ruhigen Lebensabend. 1951 beschäftigen Lohse zunächst finanzielle Sorgen: Gut beraten von seinem Anwalt beantragt er seine "Entnazifizierung" und bringt 36 lobende Einlassungen, so genannte "Persilscheine", von ehemaligen Mitarbeitern, von Professoren, Wirtschaftsführern, kirchlichen Würdenträgern und Militärs auf. Die alliierten und die deutschen Stellen haben längst das Interesse an der Entnazifizierung verloren, die neue Landtagsmehrheit gerade das "Beendigungsgesetz" beschlossen. Und Lohses Verfahren endet wie oben zitiert. Erneute Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Itzehoe in den Jahren 1959 bis 1962 führen wieder nicht zur Anklage. Rentner Lohse wiederholt allen Ernstes, ihm sei es zuzuschreiben, "dass bei seinem Ausscheiden im August 1944 noch viele tausend Juden am Leben und tätig waren." Als zählten bei Mordermittlungen die Überlebenden und nicht die Ermordeten!

Wer das alles verstehen will, muss Schleswig-Holsteins Nachkriegsgesellschaft ins Visier nehmen, die den Rahmen für diesen Lebensabend bildet: Noch akzentuierter als anderswo werden den ehemaligen NS-Funktionseliten Wiedereingliederungsangebote gemacht. Gemeint sind "normale" Beamte, Offiziere und Manager, Angehörige also der klassischen Mittel- und Oberschichten, deren Mitwirkungen an NS-Verbrechen rollen- beziehungsweise karrierenbedingt, arbeitsteilig und inzwischen verdrängt sind. "Parteileute" wie Lohse sind eigentlich nicht gemeint. Sie laufen sozusagen mit, da juristisch zwischen Verfehlungen eines NS-Oberpräsidenten auf der einen und eines konservativen Regierungs- oder Gerichtspräsidenten auf der anderen Seite nicht unterschieden werden kann.

Lohses privates Umfeld aber rekrutiert sich nur aus regionalen Partei-Größen. Das sind seine Freunde, aber nicht das gesellschaftliche Umfeld, das er sich wünscht. Bis zum Tod leidet er daran, dass andere ihn meiden, obwohl sie durch ihn Karrieren gemacht haben. Gesellschaftlich wieder voll integriert blicken sie wieder nach vorn, Lohse stört da nur. Ein gesellschaftlich isolierter Lebensabend also, der am 25. Februar 1964 im Geburtsdorf Mühlenbarbek endet.

Siehe auch:

Hinrich Lohse 1951

Um diese Inhalte anzusehen, wird der Flashplayer 9 benötigt. Zum Download
audioDidaktische Bemerkungen
audioZusatzmaterial
case storyFallbeispiele
multimediaMultimedia
photosAbbildungen
metainfoBelletristik
quotesZitat
imageBiografien
metainfoKommentar der Autoren
bibliographyLiteratur