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Türkische Mädchen und Frauen © izrg

Auch in der „Zweiten Generation“ bestimmen noch oft traditionelle Geschlechterrollen völlig selbstverständlich die Aufgabenverteilung, Pflichten und Freiheiten. Häufig ist in türkischen Familien der Vater noch die Entscheidungsautorität und auch andere männliche Familienmitglieder genießen oft eine größere Freiheit als weibliche. Innerhalb der Familie gilt es, eine gewisse „Ehre“ zu bewahren, die traditionellerweise die Männer schützen soll. Diese Vorstellung von „Ehre“ fordert von den Frauen und Mädchen eine zurückhaltende Lebensweise. Für sie gilt in strenger Tradition beispielsweise, dass sie „unberührt“ in die Ehe zu gehen haben. Die Männer der Familie tragen auch hierfür Verantwortung, wenn sie nicht „ihre Ehre“ und damit ihr Ansehen verlieren wollen.

Doch vor allem Mädchen hinterfragen diese Rollen und die ihnen zu Grunde liegenden Werte immer häufiger. Der Integrations- oder Anpassungsdruck in der deutschen oder dänischen Gesellschaft führt für die Kinder zu einem Leben in „zwei Welten“. Ihre Eltern reagieren verschieden: manche tolerant, andere erst recht die Tradition schützend. Manche Mädchen „emanzipieren“ sich in toleranten türkischen Familien und leben wie ihre deutschen Nachbarinnen: erlernen Berufe, studieren und wählen ihre Partner eigenständig. Andere folgen freiwillig oder unter Druck der Tradition. Manche werden sehr früh „verlobt“, und ihre Brüder oder Väter wachen über ihre „Unschuld“. Sie kommen mit anderen türkischen Mädchen und Frauen zusammen und müssen manchmal um Schul- und Berufsabschluss förmlich kämpfen. 1985 berichtet eine Forscherin von einer jungen türkischen Frau in Kiel, die eine Lehrstelle in einem türkischen Kinderladen hätte erhalten können. Ihr Vater verbot diese Berufsausbildung aber mit dem Hinweis darauf, dass seine Tochter vormittags in einer Institution arbeite, in der nachmittags auch männliche Türken Zugang hätten. Für ihn stand die Ehre der Familie auf dem Spiel. Das türkische Mädchen C. in Kiel, 1989 von einer Wissenschaftlerin befragt: „Also, Thema: Über Jungen oder warum die türkischen Mädchen keinen Freund haben dürfen. Also bei uns jedenfalls, da dürfen wir keinen Freund haben, wenn das mal wirklich rauskommen würde. Wir dürfen nie einen Freund haben, und das find' ich immer blöd.“ Aber: „Es gibt viele türkische Mädchen, die gehen mit Jungs. Auf unserer Schule auch.“ – Der Wandel findet statt. Oder wie die 17-jährige H. in derselben Befragung sagt: „Zuhause, da bin ich ja ein türkisches Mädchen...“

In Schleswig-Holstein entstehen seit den 1970er und 1980er Jahren kulturelle und sozialpädagogische Projekte vor allem für türkische Mädchen und Frauen, sie gelangen in den Blickpunkt der Aufmerksamkeit. Institutionen und Verbände – Kommunen, Wohlfahrtsverbände, Kirchen – eröffnen Beratungsstellen und Treffpunkte, die Unterstützung im Umgang mit Behörden, Sprach- und Freizeitangebote bieten. Angebote für Mädchen sollen helfen, ihre besonderen Integrationsschwierigkeiten zu berücksichtigen. Mädchentreffs, die entsprechend der türkischen Tradition Jungen und Männer ausschließen, führen manchmal deutsche und türkische Mädchen zusammen. Doch die Gruppen bleiben im Alltag auf Distanz, da sich ihre Lebenszusammenhänge stark unterscheiden – hier oft zerrüttete Familien, Beziehungsprobleme, frühe Schwangerschaften, Erziehungsprobleme und Drogen, dort Überforderung als älteste Tochter im Haushalt, mangelnde Unterstützung der Eltern bei der Schul- und Berufsausbildung, Angst vor Zwangsehen, Ausländerfeindlichkeit.

Spezielle Initiativen für verheiratete Frauen wollen der äußeren Isolation türkischer Mütter und Ehefrauen vorbeugen, denen die Integration oft am schwersten fällt. Oft haben sie eine sehr geringe Schulbildung, sprechen kaum Deutsch und sind von ihren Familien abhängig. Anfang der 1980er Jahre startet ein erfolgreiches Modellprojekt der Evangelischen Familienbildungsstätte in Neumünster, die „Sprach- und Lebensschule“ für türkische Frauen „Almanca Kursu“: Türkische Frauen sollen einen Freiraum bekommen, um mehr Selbstbewusstsein zu bekommen. Neben allgemeinen „Kennenlernen“ und Sprachkursen geht es darum, den türkischen Frauen genauso Einblicke in die kulturellen und religiösen Werte der deutschen Gesellschaft zu geben wie in das Schul- und Erziehungssystem, das ihre Kinder durchlaufen.

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