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Kinderarbeit © izrg

Im 19. Jahrhundert ist in Schleswig-Holstein die Beschäftigung von Kindern in der Landwirtschaft, im Handwerk und im Heimgewerbe weit verbreitet. Als billige Arbeitskräfte müssen vielerorts bereits Mädchen und Jungen im Alter von sechs oder sieben Jahren täglich mehrere Stunden arbeiten, um einen Beitrag zum Familienunterhalt zu leisten. Kinder werden überall dort beschäftigt, wo es um einfache, leicht zu erlernende Tätigkeiten geht und keine spezielle Ausbildung notwendig ist.

Als in den 1830er Jahren die Industrialisierung in Schleswig-Holstein einsetzt, lassen die Unternehmer auch Kinder in ihren Fabriken arbeiten. Zwar bleibt ihr Anteil – schon auf Grund des relativ niedrigen Grades der Industrialisierung – im Vergleich zur Landwirtschaft eher gering, jedoch bedeutet die Fabrikarbeit für einen Teil der Kinder eine erhebliche Verschlechterung ihrer Lebensbedingungen. So drohen ihnen neue Gefahren durch den Kontakt mit gesundheitsgefährdenden Stoffen und ungesicherten Maschinen sowie durch ungewohnte körperliche und seelische Belastungen, wie eintönige, arbeitsteilige Produktionsabläufe oder große Hitze.

Ein Beispiel sind Zündhölzerfabriken, wo viele Kinder arbeiten. Der dort zur Herstellung der Streichhölzer verwendete Phosphor greift die Haut, Augen und Lungen der Beschäftigten an. In schlimmen Fällen erkranken auch Kinder an der so genannten Phosphorkrenose: Dabei zerstörten die Phosphordämpfe die Zähne und Kieferknochen. Ein tödlicher Ausgang der Erkrankung lässt sich oftmals nur durch Amputation des Unterkiefers verhindern.

Trotz dieser großen Risiken befürwortet die Mehrheit der Bevölkerung die Arbeit der Mädchen und Jungen in den Zündhölzerfabriken, Eisengießereien, Ziegeleien, Tabak- und Textilfabriken, Zuckerraffinerien, Papier- und Glasfabriken – um nur einige Beschäftigungsfelder aufzuzählen. Gesellschaftliche Nachteile und gesundheitliche Gefahren, denen die Heranwachsenden durch die Arbeit in den Fabriken ausgesetzt sind, spielen in der öffentlichen Wahrnehmung zunächst kaum eine Rolle. Gegen die Kinderarbeit in den Fabriken regt sich von Seiten der Familien kaum Widerstand. Viele betroffene Familien benötigen das zusätzliche Einkommen der Kinder, um die eigene Existenz zu sichern. Eltern, die ebenfalls in derselben Fabrik wie ihrer Kinder arbeiten, protestierten schon deshalb nicht, weil sie dann befürchten müssen, selbst ihre Arbeitsstellen zu verlieren. Fabrikanten begründen die Kinderarbeit zumeist damit, dass bestimmte Tätigkeiten auf Grund ihrer Statur besser von Kindern verrichtet werden können. Viel wichtiger ist aber wohl, dass sie den Kindern erheblich niedrigere Löhne als den Erwachsenen zahlen müssen. Ein profitabler Nebeneffekt: Die geringe Entlohnung der Kinder führt dazu, dass auch die Löhne der erwachsenen Arbeitskräfte niedrig bleiben.

Durch die Fabrikarbeit verschlechtern sich langfristig die Zukunftsaussichten der Kinder. Denn auch bei der Schulausbildung sind die Kinderarbeiter benachteiligt. Zwar gilt seit 1814 die allgemeine Schulpflicht für Mädchen bis zum Alter von 14 Jahren und bei Jungen bis zum Alter von 15 Jahren, jedoch lässt sich die Fabrikarbeit – mit teilweise bis zu 14 Arbeitsstunden täglich – kaum mit einem regelmäßigen Schulbesuch vereinbaren. Auch auf dem Lande stellen viele Schulen während der Sommermonate ihren Unterricht ein, da ein großer Teil der Schüler und Schülerinnen bei der Ernte mithelfen muss. Jedoch ist die Arbeit in der Landwirtschaft meist zeitlich saisonal beschränkt, so dass die Kinder wenigstens in den übrigen Monaten zur Schule gehen können. Um der Schulpflicht der Kinder genüge zu tun und den Anforderungen der Fabrikanten gerecht zu werden, werden in einigen Orten Fabrikschulen eingerichtet. So erhalten Mädchen und Jungen, die die Lübecker Fabrikschule besuchen, fünf Stunden Unterricht in der Woche. An einer normalen Lübecker Armenschule sind es hingegen 32 Unterrichtsstunden. Die Unterrichtszeiten der Fabrikschulen orientieren sich stark an den Bedürfnissen der Fabrikbesitzer. Die Kinder müssen in der Regel bei einer Sechs-Tage-Woche entweder vor oder nach der Arbeit oder auch am Sonntag zur Schule gehen. Bei unentschuldigten Schulversäumnissen drohen zudem Lohnabzüge, da der Fabrikant gegenüber den Fabrikinspektoren Rechenschaft über den regelmäßigen Schulbesuch ablegen muss.

Seit den 1870er Jahren geht die Kinderarbeit zunächst einmal in den Fabriken kontinuierlich zurück. Der preußische Staat hatte, auf Grund langjähriger, negativer Erfahrungen, bereits 1839/1853 Arbeitsschutzgesetze eingeführt. Bis dahin ruiniert die Fabrikarbeit die Gesundheit vieler junger Männer so stark, dass sie auch nicht mehr für den Wehrdienst in Frage kommen. Diese Vorschriften treten nach 1867 auch für Schleswig-Holstein in Kraft und schränken die Kinderarbeit in den Fabriken stark ein. Die Einhaltung der Gesetze überwacht zunächst die Ortspolizeibehörde. Später sind hierfür so genannte „Gewerberäte“ und „Fabrikinspektoren“ zuständig. Immer öfter prangern auch Pastoren und Lehrer Verstöße gegen die Kinderschutzgesetze an – zumal es jetzt gesetzliche Druckmittel bei Verstößen gibt. Ihre Kritik richtet sich dabei weniger gegen die Kinderarbeit an sich, sondern erzürnt sich am Fehlen der Kinder in der Schule und im Religionsunterricht. Erst nach und nach kritisieren sie auch die negativen Folgen, die die Arbeit auf die Gesundheit der Kinder hat. Die Kirche sorgt sich zudem darum, dass Anstand und Moral in den Fabriken gewahrt bleiben. Dies gilt besonders für Fabriken, in denen Arbeitskräfte beiderlei Geschlecht beschäftigt werden. So setzt die Kirche zum Beispiel nach Geschlechtern getrennte Waschräume in denjenigen Fabriken durch, die Kinder und Jugendliche beschäftigen.

Die Unternehmer versuchen die Arbeitsvorschriften zu umgehen – in vielen Fällen ist dies schon aus dem einfachen Grund möglich, weil der Begriff „Fabrik“ nicht genau gefasst ist und die Beschäftigung von Kindern in anderen Betriebsformen keinen weiteren Einschränkungen unterliegt. Die Definition von „Fabrik“ schließt sowohl Arbeitstellen mit einem großen Anteil maschineller Fertigung, aber auch Betriebe mit vielen Arbeitskräften und hohen Produktionszahlen ein. Auch Stätten an denen überwiegend in Handarbeit, aber arbeitsteilig gefertigt wird, zählen in diesem Sinne zu den Fabriken.

Dank verstärkter Kontrollen und weiterer Einschränkungen zeigen die Maßnahmen trotzdem Wirkung. Im Jahre 1878 verbietet der Staat die Fabrikarbeit für Kinder unter zwölf Jahren – die Bestimmung von 1867 galt nur bei regelmäßiger Beschäftigung. Generell nimmt nun die Zahl der in den Fabriken beschäftigten Kinder stark ab, während sich gleichzeitig die Zustände am Arbeitsplatz verbessern. 1891 folgt ein grundsätzliches Beschäftigungsverbot schulpflichtiger Kinder in Fabriken. 1903 erweitert der Gesetzgeber dieses Verbot dann auch auf den Handel, das Handwerk, den Verkehr und die Gastronomie. Einzig und allein ausgenommen von den Einschränkungen bleibt die Landwirtschaft.

Eine Vielzahl von Gründen führt schließlich zu einem Rückgang der Kinderarbeit. Eine wichtige Rolle hierbei spielt auch die bessere Sozialgesetzgebung und die Einsicht, dass Kinder besonderen Schutz und Zuwendung brauchen. Aber nicht nur das Verbot der Kinderarbeit und die strenge Überwachung der Schulpflicht, sondern auch die steigenden Anforderungen an die Qualifizierung der Mitarbeiter sorgen dafür, dass die Firmen dazu übergehen, Erwachsene zu beschäftigen und Jugendliche aus- und fortzubilden, statt unqualifizierte Kinder anzustellen. Gleichwohl: dies bezieht sich auf „Kinder“ unter 14 Jahren, spätestens danach arbeitet der Großteil der Heranwachsenden wie erwachsene Arbeitskräfte.

Siehe auch:

Erntehelfer
Kinder in einer Glasschmelzerei.
Kartoffelernte in Dithmarschen um 1905
Der Lehrer D. F. Bestmann berichtet für die Zeit um 1864 über die Tätigkeit von Kindern in den Glashütten in Ottensen:
Aussage eines Fabrikinspektors aus dem Jahre 1887

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