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Lebenserinnerungen © izrg

Die eigenhändig aufgeschriebenen Lebenserinnerungen der Sophia Friederika Hinriette Lemitz, geb. am 10. Mai 1844 in Lütjenburg, sind Überlieferungsglück und -zufall. Nur selten kommt es vor, dass schriftliche Zeugnisse von Angehörigen der unteren sozialen Schichten überliefert sind. Die Aufzeichnungen der Sophia haben die mehr als einhundert Jahre zwischen Niederschrift und Veröffentlichung auf dem Dachboden eines Bauernhofes in Heidenau überdauert. Eindrucksvoll liefern sie einen Einblick in die Wahrnehmung der Lebenswelt eines Dienstmädchens im 19. Jahrhundert. Sophia, die Tochter eines Mauerergesellen, schildert nicht nur ihre Jahre als Dienstmagd, sondern ebenso weitere Stationen ihres Lebens, wie Kindheit, frühe Einbindung in familiäre Pflichten und ihre Zeit als Ehefrau und Kleinbäuerin. Hier stehen ihre Erfahrungen als Dienstmädchen im Mittelpunkt.

„Ich hatte Glück im Dienen“

Wir erfahren aus Sophias Erinnerungen nicht, wie alt sie ist, als sie das erste Mal als Dienstmädchen in Stellung geht. Zunächst ist sie im Haushalt einer Schifferfamilie mit acht Kindern in Hohwacht tätig. Der Hausherr verschifft Lebensmittel in den Ort und verkauft sie dort. Sophia beschreibt ihren Arbeitsbereich: „Dies war meine Hauptarbeit: das alles zu verkaufen, ganze Tonnen mit Butter und Schmalz, 10 bis 12 Pfd. Brote, Grütze, Mehl und sämtlichen Kleinhandel. Mit den Kindern hatte ich nichts zu tun, dies besorgte die Hausfrau. (…) Aber was sonst alles an mich herankam war nicht wenig.“ So muss sie zum Beispiel die Kuh melken und Milch verarbeiten. Dies empfindet sie als besonders schwer, da sie im Umgang mit Tieren keine Erfahrung hat. Sie beschreibt ihr Gefühl der Überforderung, aber ebenso ihren Willen und ihr Bemühen, durchzuhalten, da man „ja ein Jahr aushalten“ muss.

In einer späteren Stellung im Haushalt einer jungen Familie ergibt es sich, dass sie sich um ein Neugeborenes kümmert, nachdem die Kinderfrau krank geworden ist und das Baby ebenfalls kränkelt: „jetzt kam es mir zustatten, daß ich Geschwister habe pflegen müssen.“ Vieles von dem, was eine Dienstmagd leisten muss, unterliegt keinen Vorgaben, sondern ergibt sich aus den Bedürfnissen der „Herrschaft“. Die Anforderungen sind vielfältig und die Fähigkeiten dafür zum Teil nur zufällig erworben.

In Sophias Lebenserinnerungen finden sich einige Anmerkungen über ihre Unterbringung und Verpflegung. In Erinnerung an ihre erste Stellung schreibt sie: „Aber gutes Essen hatten wir immer.“ Als sie später bei einer Gräfin in Stellung ist, hat sie keine feste Schlafgelegenheit im Dienstmädchenzimmer, wie die anderen Bediensteten, sondern lediglich ein Bett, das in einem Vorraum des Schlafzimmers der Gräfin aufgeschlagen wird: „Die Diener brachten meine Korbbettstelle wie jeden Abend ins Vorzimmer“. Auf diese Weise steht ihre Arbeitskraft auch nachts zur Verfügung.

Sophias Lebenslauf zeigt eine große Flexibilität: Immer wieder nimmt sie Stellungen in unbekannten Haushalten an und muss neuen Anforderungen gerecht werden. Ihre Erzählungen zeigen, dass – zumindest zu Beginn ihrer Dienstmädchenzeit – ihr Vater sie in die neuen Tätigkeiten vermittelt. Als sie sich in einer Stelle eingelebt hat und wohlfühlt, vermietet ihr Vater sie nach einem Jahr in einen anderen Haushalt. Ihr Kummer darüber ist groß: „Ich dachte, ich wäre in eine andere Welt versetzt. Mir war es nicht recht. Mir war die Arbeit eine liebe Gewohnheit geworden. Ich habe die ganze Nacht geweint.“ Doch noch in der Rückschau akzeptiert sie das Handeln des Vaters als selbstverständlich und stellt es nicht in Frage.

Zu Beginn ihrer Dienstzeit verdient Sophia 6 Taler Kurant jährlich, sie betont aber, dass dies eine freiwillige Leistung ihrer Herrschaft sei, denn „ich sollte ja lernen als ‚Stütze‘, wie man es jetzt nennt.“ Während ihrer Dienstzeit verzehnfacht sich ihr Lohn: „Mein höchstes Gehalt ist gewesen 60 Taler Kurant in einem Jahr, wie ich schon in allen Arbeiten bewandert war.“ Neben der ihr zustehenden Unterkunft und Verpflegung bekommt Sophia mehrmals bei besonderer Leistung abgelegte Kleidungsstücke von den Hausherrinnen geschenkt. Diese sind willkommene Extras zu dem kargen Verdienst: „Jetzt kann sich einer vorstellen, wie ich mich freute, denn ich glaubte selbst nicht, daß es wahr sein konnte, so viel Reichtum auf einmal zu besitzen.“ Außerdem bieten sie die Möglichkeit, sparsam mit dem Lohn umzugehen: „Doch Kleidung habe ich nur wenig gekauft, es bestand meistens aus Geschenken von meinen Damen“.

Sophias Dienstmädchenzeit endet 1873, als „meine Heirat mich vom Dienen ablöste“.

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