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"1.00 Uhr bis 3.30 Uhr: Sichten zahlreiche treibende Geräte, Türen und Fenster von der Hallig Langeness." – Das notiert in der Nacht vom 16. auf den 17. Februar 1962 Kapitän Jakobs im Schiffstagebuch der "Amrum". Seit Stunden liegt die "Amrum" vor Langeness im Wattenmeer vor Anker, da ein Ankern im Schüttsieler Hafen wegen der Brandung zu gefährlich ist. Die Besatzung erlebt in dieser Nacht die verheerendste Flutkatastrophe des Jahrhunderts in der Region.

Kapitän Jakobs stammt selbst von Langeness, ist in dritter Generation mit seinem Linienschiff auf Halligfahrt. Er notiert seine Gedanken im Schiffslogbuch: "Nun wussten wir es genau, was auf den Warften los war. Das Hochwasser hatte in den am sichersten stehenden Wohnhäusern gehaust. Wenn Fenster und Türen herausgebrochen werden, dann ist für die Bewohner der Häuser höchste Lebensgefahr. Treibende Heudiemen sagen dem Halligkenner, dass die Warften tief unter Wasser stehen. Denn die Bauern, die unter größten Schwierigkeiten während weniger Sommermonate für ihr zum überwiegenden Teil aus Zuchttieren bestehendes Vieh ernten, lagern es an der sichersten Stelle, die sie kennen."

Die Situation auf Langeness ist wirklich dramatisch: Der Wohnbereich der Peterswarft bricht zusammen, das junge Ehepaar mit einem Kleinkind flüchtet sich auf den Heudiemen und verbringt hier die Nacht in Sturm und Kälte. Bis zur Brust im Wasser und das Baby auf der Schulter, schlagen sie sich im Morgengrauen zu einer rettenden anderen Warft durch. Normalerweise sind die Halligbewohner das Leben "Landunter" gewohnt, doch jetzt im Februar 1962 steigt das Wasser höher als je zuvor; 3,25 m über normalem Hochwasser. Einige Gebäude halten den Wassermassen in dieser Nacht nicht stand, Tiere kommen um, die Fethinge laufen voll Salzwasser, die Stromversorgung und die Telefonleitungen brechen zusammen.

Newton Nommensen ruft um 22 Uhr als Letzter von der Hallig Gröde auf dem Festland an und teilt mit, er stehe bis zum Bauch im Wasser, habe sein Kalb in ein erhöhtes Bett gelegt, er selbst müsse jetzt auf den Boden gehen und wisse nicht, ob man sich noch einmal sehen werde. Das Kalb und Nommensen überleben die Nacht, das Telefon aber – das einzige der Hallig – schwimmt davon. Stürmisch, aber keineswegs besonders bedrohlich verläuft der Tag vor dieser Nacht. Schon vier Tage zuvor hat es stark gestürmt, ohne dass Schlimmes passierte. Jetzt tobt ein neues Sturmtief über der Nordsee. Das Deutsche Hydrographische Institut formuliert am Vormittag erste Warnungen. Der Rundfunk meldet daraufhin: "Für das ganze Gebiet der deutschen Nordseeküste besteht die Gefahr einer sehr schweren Sturmflut mit Wasserständen von 3 bis 3,50 Meter über Normal, stellenweise örtlich noch höher!" Diese verhaltene Warnung kommt an der Küste hin und wieder vor, und nicht alle Menschen schenken ihr große Beachtung. Sie wähnen sich sicher.

Die Stäbe der Katastrophenabwehr dagegen arbeiten seit dem Vormittag. Bereitschaftspolizei und Bundeswehreinheiten sind in Alarmbereitschaft, um 20 Uhr die Polizei im gesamten Land, und um 21 Uhr ist der zentrale Katastropheneinsatzstab alarmiert. Ein Versuch der Katastrophenschützer, das abendliche Fernsehprogramm – noch gibt es nur das Erste Programm, und die Nation schaut die beliebte Familienserie des Hessischen Rundfunks "Die Hesselbachs" – zu unterbrechen und eine Warnung durchzugeben, misslingt. Seit 22 Uhr herrscht für die komplette Westküste Katastrophenalarm, doch das Fernsehen sendet erst um 22.35 Uhr eine Sondermeldung. Das ist zu spät, die meisten Menschen liegen bereits in ihren Betten. Die Feuersirenen beginnen zu heulen, nun improvisieren die Helfer. Sie evakuieren die bedrohten Menschen und leiten Hilfsmaßnahmen ein. Helfer beginnen die beschädigten Deichabschnitte provisorisch mit Sandsäcken zu schützen und schließen Deichbrüche. Aber sind Deiche angegriffen, lässt sich nur wenig ausrichten.

Eher zufällig befindet sich Ministerpräsident Kai-Uwe von Hassel in Dithmarschen. Er selbst leitet die Aktivitäten der Katastrophenabwehr. Deich- und Katastrophenschutz sind zu dieser Zeit noch dezentral organisiert. Die Menschen, die ihre Region kennen, befassen sich unter der Leitung der Landräte mit der Abwehr. In weiten Gebieten der Katastrophenregion bricht die Stromversorgung zusammen. Die Menschen sitzen bei Kerzenlicht und nur wenige können Rundfunk hören, weil man dazu ein modernes, batteriebetriebenes Transistorgerät benötigt. Die Kommunikation fällt aus. Selbst von Hassel scheitert bei dem Versuch, nach Kiel zu telefonieren. Alle Leitungen sind belegt, das Netz völlig überlastet.

Der Krisenstab evakuiert in dieser Nacht mehrere Köge. Darunter in letzter Sekunde der Uelvesbüller Koog auf Eiderstedt. – Und dann der große Jubel: Eine Stunde vor dem erwarteten Höchststand beginnt der Wasserpegel zu sinken und auch der Wind lässt nach. Wie durch ein Wunder ist in Schleswig-Holstein niemand in den Fluten gestorben. 6.000 Menschen hat man rechtzeitig evakuiert. Ganz anders stellt sich die Situation dagegen in Hamburg dar, wo sich besonders im Ortsteil Wilhelmsburg furchtbare Szenen abgespielt haben. Insgesamt fordert die Sturmflut hier 315 Menschenleben, 70.000 Menschen haben durch die Flut ihr Obdach verloren.

In Schleswig- Holstein garantiert der Großeinsatz der Bundeswehr in den Tagen nach der Flut effektive Hilfe; übrigens am Rande der Gesetzmäßigkeit. Aber wer stellt in solchen Tagen schon Verfassungsfragen? 40.000 Soldaten sind im Einsatz, allein 71 Hubschrauber der Bundeswehr und 25 der in Deutschland stationierten US-Streitkräfte. Sie retten und versorgen immer noch bedrohte Menschen und liefern Trinkwasser auf die Halligen, die noch nicht mit einer Trinkwasserleitung vom Festland verbunden sind. Überall schwemmen die Fluten Tierkadaver an Land, 7.000 Tiere sind umgekommen. Der Sturm hat viele Kutter an Land geworfen und große Gebiete überschwemmt.

Auf Sylt ist die Westerländer Promenade zerstört, zehn Meter Dünen sind abgetragen, bei Hörnum fehlen sogar 16 Meter. Hier wäre die Insel beinahe in zwei Teile zerrissen worden! Auch Dünen vor St. Peter-Ording sind abgetragen. Die Außeneider- und Seedeiche Dithmarschens sowie der Büsumer Deich sind schwer beschädigt. Die Inseln Pellworm, Nordstrand und Föhr kommen ohne nennenswerte Schäden davon. Auch die Elbdeiche haben kaum gelitten. Doch der Hochwasserrückstau beschädigt die Flussdeiche von Stör, Krückau und Pinnau und überschwemmt Itzehoe, Elmshorn und Uetersen.

Besonders hart trifft es die Halligen. Viele sind restlos zerstört, doch ihre Schutzwirkung für das norddeutsche Festland hat vielleicht vielen Menschen das Leben gerettet. Die Schadensbilanz des Landwirtschaftsministeriums besagt, dass die Wassermassen von den etwa 560 Kilometer See- und Flussdeichen im Westen des Landes 70 Kilometer so stark zerstört haben, dass Neubaukosten eintreten. Weitere 80 Kilometer sind erheblich beschädigt und zusätzliche 120 Kilometer der Deiche weisen Beschädigungen auf. Insgesamt zählen die Behörden 1962 in Norddeutschland 128 Deichbrüche. Die Flut von 1962 ist für Schleswig-Holstein und Hamburg eine Katastrophe!

Se også:

Erinnerungen an die Sturmflut in der Nacht vom 16. auf den 17. Februar 1962
De nordfrisiske halliger
Sylt
Petersværftet
Efter stormfloden
Druknet kvæg
Digebrud

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