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Landvolkbewegung © izrg

Am 28. Januar 1928 demonstrieren in Schleswig-Holstein insgesamt 140.000 Bauern. Sie begreifen sich als „Landvolkbewegung“, die ein „Recht auf Widerstand“ behauptet und zum „zivilen Ungehorsam“ greift. Grund ist die wirtschaftliche Krisensituation vieler Landwirte, vor allem an der Westküste und in den Flussmarschen. Viele Landwirte haben in den letzten Jahren wie gewohnt mit großen Krediten gearbeitet, deren Zinsniveau nach der Stabilisierung der Währung 1923 jedoch ungewohnt hoch ist. Dies führt zu Überschuldung, während gleichzeitig die nachlassende Inlandsnachfrage zu einem Preisverfall bei Fleisch, Milch und auch Getreide führt. So hat es Zwangsversteigerungen gegeben, weil manche Hofbesitzer ihren Schulden nicht mehr bezahlen können. Es waren nicht wirklich viele, aber die „Vertreibung von der Scholle“ besitzt ungeheure Symbolkraft für die ländliche Bevölkerung, die sich seit der Industrialisierung wirtschaftlich an den Rand gedrängt fühlt und ohnehin oft den „guten alten Zeiten“ nachtrauert.

Die Landvolkbewegung greift zum Kampfmittel des Steuerboykotts, und am 19. November 1928 verhindern aufgebrachte Bauern mit dem „Beidenflether Ochsenfeuer“ die Beschlagnahmung von zwei Ochsen als Steuerschuld eines Bauern. Auf polizeiliche Maßnahmen gegen eine Demonstration in Neumünster reagiert die Landbevölkerung im August 1929 mit dem Boykott der Stadt, bis die beschlagnahmte Fahne ein Jahr später feierlich übergeben wird.

Der radikale Flügel der Bewegung greift zu Gewalt. Nur durch Zufälle kommt es bei Bombenattentaten auf Ämter und Repräsentanten des verhassten Staates nicht zu Todesopfern. Während der Bauer Wilhelm Hamkens aus Tetenbüll, Dithmarschen, als einer der Kristallisationspunkte der Bewegung für Protest und zivilen Ungehorsam steht, greift der 1884 in St. Annen-Österfeld geborene Claus Heim bald zu Gewalt und Bomben.

Heim entstammt einer alteingesessenen Dithmarscher Bauernfamilie. Der Jungbauer hat neben Land in seinem Heimatdorf im fernen Paraguay eine große Farm gepachtet. Nachdem er im Ersten Weltkrieg „dient“, geht er mit seiner Familie wieder nach Paraguay, um 1923 zurückzukehren. Er bewirtschaftet fortan einen mit 120 ha stattlichen Hof. Zur Entschuldung muss er allerdings 1927 rund 40 ha Land verkaufen. Er ist Mitglied im besonders radikalen „Stahlhelm Gau Westküste“ und weiteren militanten, rechts stehenden „Heimatwehren“.

Man weist Claus Heim später 13 terroristische Anschläge nach auf Landratsämter und Dienstwohnungen, unter anderem in Rendsburg, Schleswig, Niebüll, Itzehoe, Lüneburg und Neumünster sowie auf Redaktionsgebäude von Zeitungen, die kritisch über die Landvolkbewegung berichten. Im September 1929 verhaftet, muss sich Heim ab Juni 1930 mit 13 Mitstreitern vor dem Altonaer Schwurgericht im so genannten „Großen Bombenlegerprozess“ verantworten. Heim erhält mit sieben Jahren Zuchthaus das höchste Strafmaß. 1931 ins Zuchthaus Celle verlegt, unterbreitet die NSDAP dem prominenten Gefangenen das Angebot, ihr Spitzenkandidat in Schleswig-Holstein zu werden. Er weist sie zurück. Eine angebotene Begnadigung durch Preußens Innenministerium, die an sein Ehrenwort auf Gewaltverzicht gebunden ist, lehnt er ebenfalls ab.

1932 aber beschließen die Fraktionen der Kommunisten, Nationalsozialisten und Deutschnationalen mit ihrer verfassungsfeindlichen Mehrheit im preußischen Landtag die Amnestie für die Bombenleger. Diese Befreiung akzeptiert Heim. Er lässt sich jedoch auch später nie vereinnahmen, weder von der NS-Bewegung noch der bundesrepublikanischen Demokratie. Er bereut seinen Weg nie und stirbt Anfang 1968.

Siehe auch:

Luetgebrune
Landvolkbewegung

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