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Verfolgung der jüdischen Minderheit © izrg

Das NS-Regime setzt gegen die jüdische Minderheit einen stufenweise realisierten Ausgrenzungs-, Entrechtungs-, Deportations- und Tötungsprozess in Gang.

Der NS-Staat verfolgte alle so genannten "Gemeinschaftsfremden", die im Sinne der NS-Rassenideologie als nicht in die "Volksgemeinschaft" integrierbar galten. Zu diesen Gruppen zählten neben "Zigeunern", anderen "Fremdvölkischen", chronisch Kranken und Behinderten vor allem die "Juden".

Im Jahr 1925 zählten 4.152 Bewohner Schleswig-Holsteins als Angehörige der jüdischen Glaubensgemeinschaft, was 0,27 % der Gesamtbevölkerung entsprach (reichsweit 1933 0,76 %). Fast 2/3 aller schleswig-holsteinischen Juden lebten in der bis 1937 zur Provinz gehörigen Stadt Altona - wo sich auch das geistliche und kulturelle Zentrum befand - weitere 1.234 Juden lebten in Lübeck und Kiel. Viele Juden unterschätzten die Gefahr, die vom NS-Staat ausging. Obwohl es in Schleswig-Holstein vereinzelt schon früher zu antisemitischen Gewaltakten gekommen war, änderten sich die Verhältnisse 1933 radikal: Rassischer Antisemitismus war jetzt ein offizieller staatlicher Grundsatz. Gegen eine fast willkürlich definierte, uneinheitliche Minderheit begann ein stufenweise umgesetzter Ausgrenzungs-, Entrechtungs-, Deportations- und Tötungsprozess.

Zunächst verbreiteten willkürliche Übergriffe von Nationalsozialisten Angst und Schrecken: In Segeberg wurden noch am 30. Januar 1933 zwei jüdische Geschäfte geplündert, im März 1933 erschossen zwei Unbekannte den jüdischen Anwalt Wilhelm Spiegel in Kiel, nationalsozialistischer Mob lynchte am 1. April 1933 Dr. Friedrich Schumm im geöffneten Kieler Polizeigewahrsam. Es war jener Tag, für den die NSDAP reichsweit zum Boykott der jüdischen Geschäfte und Praxen aufgerufen hatte. Die Bevölkerung machte nicht so mit, wie es die NS-Strategen erhofft hatten: Im Kieler Arbeiterstadtteil Gaarden kauften Kunden sogar demonstrativ in einem jüdischen Kaufhaus ein. Nach dem damit teilweise misslungenen Boykott setzte die NS-Regierung in ihrer antijüdischen Politik auf unzählige "gesetzliche" Maßnahmen, um Juden aus dem gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben zu verdrängen.

Die meisten jüdischen Beamten verloren auf Grund des "Beamten"-Gesetzes 1933 ihre Arbeit, viele jüdische Schülerinnen und Schüler sowie Studierende mussten bereits 1933 allgemeine Schulen und Hochschulen verlassen, ab Herbst 1933 waren Juden vom Kulturleben ausgeschlossen. Am 15. September 1935 wurden die "Nürnberger Gesetze" verkündet, eine Durchführungsverordnung regelte im November 1933, wer fortan als "Jude" galt. Mit Hilfe von so genannten "Arierparagraphen" drängte man Juden aus fast allen Berufen, viele jüdische Geschäfte wurden "arisiert". Juden mussten ab 17. August 1938 die zusätzlichen Vornamen Sara und Israel tragen, ihre Reisepässe wurden seit dem 5. Oktober 1938 mit dem ebenfalls diskriminierenden "J" gekennzeichnet. Auch in Schleswig-Holstein zerstörten Angehörige von SA und SS - unter Duldung oder Mithilfe der Polizei - in der Reichspogromnacht am 9. November 1938 jüdische Synagogen und Geschäfte, darunter in Lübeck, Kiel, Bad Segeberg und Friedrichstadt. Ab September 1941 mussten Juden einen gelben Stern auf der Kleidung tragen.

Im Mai 1939 hatten 60 % der schleswig-holsteinischen Juden ihre Heimat verlassen, man zählte nur noch 575 "Glaubensjuden" im Land, die Landkreise Eiderstedt, Husum, Norder- und Süderdithmarschen und Südtondern galten in parteiamtlichen Erfolgsbilanzen als "judenfrei". Viele waren in Großstädte gezogen, wo sie sich im jüdischen Umfeld und großstädtischer Anonymität Schutz erhofften. Bis zum Ausreiseverbot am 23. Oktober 1941 flohen etwa 1.000 schleswig-holsteinische Juden ins Ausland, unter anderem nach Großbritannien, China und in die USA; auf die Emigration nach Palästina bereiteten sich junge Juden auf dem Gutshof "Jägerlust" vor. Neben dem Heimatverlust war Auswanderung allerdings finanziell sehr aufwändig, der NS-Staat erhob horrende Abgaben; viele Verfolgte verfügten deshalb nicht über diese Rettungsmöglichkeit.

Im Oktober 1941 wurden die ersten circa 45 schleswig-holsteinischen Juden von Hamburg aus nach Lodz deportiert. Im November bereitete die Gestapo mit Hilfe von Kommunalbehörden und den Kreis- und Ortspolizeidienststellen die Deportation von weiteren rund 150 Juden vor. Die Betroffenen mussten sich am 4. Dezember in Kiel und Lübeck einfinden, am 6. Dezember wurden sie mit 850 Hamburger Juden nach Riga deportiert. Manche glaubten noch an eine "Aussiedlung", andere ahnten, was sie erwartete: Gettoisierung, schwerste Zwangsarbeit, Ermordung durch Erschießen oder im Vernichtungslager. Sie wurden Opfer des Holocaust im "Reichskommissariat Ostland". Mindestens 40 jüdische Schleswig-Holsteiner nahmen sich das Leben. Von den über sechs Millionen ermordeten europäischen Juden stammten circa 750 aus Schleswig-Holstein.

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