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"Präsident" von Alsen © izrg

Widersprüchliche Darstellungen und viele Mythen ranken sich um die revolutionären Geschehnisse im November 1918 in Sonderburg auf der Insel Alsen.

Was hat es mit dem angeblichen "Präsidenten von Alsen" und der "Republik Alsen" auf sich - Begriffe, die im regionalen Gedächtnis breite Verankerung gefunden haben? Es lassen sich kontroverse Darstellungen darüber finden, wie die Tage zwischen dem 6. und 9. November 1918 in Sonderburg und auf der Insel Alsen abgelaufen sind. Weitgehend übereinstimmend überliefert werden folgende Geschehnisse:

Spätestens am 6. November erreichen die Nachrichten über die revolutionären Zustände in Kiel auch die Stadt Sonderburg auf der Insel Alsen, wo viele - zwischen 4.000 und 5.000 - Marine- und auch Infanteriesoldaten stationiert sind. Noch am gleichen Tag kommen die Soldaten zu einer Versammlung zusammen und wählen einen Soldatenrat. Zu seinem Vorsitzenden bestimmen sie den 32-jährigen Bruno Topff, einen 1886 geborenen Oberschneidergast, wie man einen Matrosen bezeichnet, der für eine Schneiderwerkstatt in einer Kaserne oder auf einem Schiff verantwortlich ist. Zuvor hat Topff schwer lungenkrank im Marinelazarett gelegen, wo ihn nun in dieser besonderen Situation scheinbar nichts mehr hält.

Soweit die vermeintlich sicheren Fakten. Doch schon über den genauen Ablauf dieser Versammlung existieren sich stark unterscheidende Darstellungen: Während Jürgen Festersen und andere Autoren schreiben, dass Topff in der von ihm angeordneten Zusammenkunft im Lazarettkittel auf eine Leiter gestiegen sei und verkündet habe, er komme mit anderen Soldaten direkt aus Kiel, wo sie 600 Offiziere erschossen und die Macht ergriffen hätten, zweifelt Robert Huhle diese Version der Geschichte als nicht korrekten Bericht eines Zeitzeugen an.

Wohl mit dem Ziel der - erfolgreichen - Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, ließ Topff direkt nach seiner Wahl Marinewachen auf den Straßen aufstellen und den Alkoholausschank verbieten. Er versuchte außerdem, - ebenfalls mit Erfolg - die Lebensmittelversorgung der Soldaten und der Bürger zu sichern. Am 7. November gelang es ihm, eine "Konterrevolution" zu beenden, indem er einen Hauptmann verhaften ließ, der versucht hatte, seine Soldaten zu einem bewaffneten Gegenschlag aufzuwiegeln. Ob er wirklich die in Sonderburg stationierten Offiziere entwaffnen ließ, ist nicht eindeutig überliefert. Auch weitere Maßnahmen des Oberschneidergast Topff sind in ihrer Rekonstruktion und vor allem ihrer Interpretation aus heutiger Sicht umstritten: darunter die angebliche Entmachtung des Bürgermeisters und des Landrats Schönberg, den er mit einer Pistole bedroht haben soll, die vorgebliche Besetzung des Bahnhofs und des Postamts, angebliche Besuche bei den Banken und Sparkassen im Auto des Landrats sowie die angeordnete Zensur der konservativen "Sonderburger Zeitung".

Einig sind sich die Historiker aber in der Bewertung der "Amtshandlungen" von Bruno Topff: Unter seiner Führung vollzog sich die Revolution auf Alsen in geordneten Bahnen und gewaltfrei. Doch die Regierung Topff dauerte weniger als 70 Stunden: Am 9. November trat er aus gesundheitlichen Gründen vom Vorsitz des Soldatenrates zurück, nachdem er in den drei Tagen auch auf zahlreichen Versammlungen in Dörfern auf Alsen über die Revolution gesprochen hatte. Im Dezember 1918 wies das Kriegsgericht eine Anklage gegen ihn wegen falscher Verdächtigungen ab. Topff versuchte sich in Sonderburg eine Existenz als Schneider aufzubauen, doch seine schwere Krankheit verhinderte dies. Er erlag ihr am 9. November 1920 in einem Sonderburger Krankenhaus.

Topff hat sich nie zum "Präsidenten" der "Republik Alsen" erklärt. Diese Mythen beruhen wohl auf ausgeschmückten Augenzeugenberichten und Gerüchten. Die Überlieferung von Topff als "leicht Verrückter", der drei Tage die Macht auf Alsen an sich gerissen hatte, geht augenscheinlich auch auf eine zweifelhafte Passage in den Erinnerungen des Kieler Gouverneurs Gustav Noske zurück, der in dem Band "Von Kiel bis Kapp. Zur Geschichte der deutschen Revolution" von einem Unzurechnungsfähigen auf Alsen schreibt. Topff selbst stellt die Ereignisse in einem Leserbrief an die "Sonderburger Zeitung" im Frühjahr 1919 anders dar: Er habe nur Verantwortung übernommen, um Blutvergießen in diesen chaotischen Tagen zu vermeiden. Wie in vielen anderen Fällen auch, werden sich die Ereignisse auf Alsen Anfang November 1918 nicht mehr widerspruchsfrei (re)konstruieren und darstellen lassen.

Diese Geschichte erscheint in folgenden Themen:
Revolution 1918-1920
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