v i m u . i n f o
Dansk version
grenzen politik wirtschaft gesellschaft kultur meer

Türkischen Gemeinde in Schleswig-Holstein

Zu Beginn der 1960er Jahre folgen die ersten türkischen Arbeiter dem Ruf aus Schleswig-Holstein. In Rendsburg sind die „Gastarbeiter“ zunächst in einem Barackenlager untergebracht, wie sich Karl-Heinz Jöhnk erinnert. Bei der Bewertung dieser Erinnerungen an die 1960er Jahre gilt es den großen zeitlichen Abstand zwischen Erinnerung und Geschehnis genauso zu berücksichtigen wie die persönliche Sichtweise des Zeitzeugen.

„Im Frühjahr 1963 kamen die ersten ausländischen Gastarbeiter nach Rendsburg. Sie kamen aus der Türkei. Der Sammeltransport, der hier ankam, war für die Ahlmann-Carlshütte bestimmt. Die Firma übernahm die Unterbringung, Beköstigung und Betreuung. Das alte Barackenlager, neu hergerichtet in Büdelsdorf, nahm sie auf. Diese Gemeinschaftswohnstätte, gelegen an der Hollerstraße, begrenzt von der Kampstraße und der Kaiserstraße, hat viele Menschen kommen und gehen sehen. Während des Krieges gebaut für die Aufnahme von ,Fremdarbeitern‘, die aus den besetzten Gebieten auf der Hütte ,arbeitsverpflichtet‘ worden waren. Danach kamen, nur für Übergangszeiten, Ostflüchtlinge und zuletzt Repatriierte, die aus anderen Besatzungsgebieten für die Abschiebung nach Osten hierher gebracht wurden.

Wir hatten in der damaligen Zeit in unserem Kreisgebiet einige dieser Lager. Behörden und Dienststellen waren mit den Begriffen: ,Polen, Ostarbeiterlager und Fremdarbeiter‘ vertraut. Das war noch gar nicht so lange her, und nun waren es Türken, die kamen und bei uns arbeiten wollten. ,Gastarbeiter‘ war die neue Bezeichnung für die Männer, so bemühte sich das Arbeitsamt, das sie in ihrer Heimat angeworben hatte, immer hinzuweisen. Mit diesen Gastarbeitern war auch ein älterer Herr aus der Türkei gekommen, der deutsch sprach und Auftrag hatte, seine Landsleute in allen Angelegenheiten zu betreuen. Der Name: ,Ahmet Hikmet Alpasü, Heimatanschrift, Karantfil Sok 2/1 Mecidigekög, Istanbul.‘

Alpasü hatte im Ersten Weltkrieg in Kiel bei der Kaiserlichen Marine gedient. Seine Frau war aus Berlin, er war Ingenieur, lebte im Ruhestand und hatte sich freiwillig für die Aufgabe im Ausland gemeldet. Die Zusammenarbeit mit der Firma und den Behörden funktionierte großartig. Es gab keine Schwierigkeiten.

Seine Landsleute betreute er wie ein Vater, deshalb sagten sie auch alle ,Papa‘ zu ihm. Viele dieser Gastarbeiter konnten nicht lesen und schreiben. Herr Alpasü hatte furchtbare Angst davor, dass seine Landsleute hier strafbar wurden. Schon bei einer Übertretung im Straßenverkehr kam er aus dem Häuschen, denn wenn hier einer bestraft wurde, hatte es später in der Heimat Folgen, so versuchte er es uns klarzumachen.

Ein junger Türke erlitt gleich in der Anfangszeit einen Arbeitsunfall. Er wurde nicht wieder voll arbeitsfähig und musste zurück in die Heimat. Herr Alpasü wollte ihn nicht ohne Bescheinigung gehen lassen, dass er schuldlos an dem Arbeitsunfall sei, aber die Berufsgenossenschaft konnte dies nicht bescheinigen. So fuhr der Unfallgeschädigte ohne Papier ab; Herr Alpasü und seine Männer weinten. Später kam die Nachricht aus der Heimat, daß alles gut gegangen war.

Wie nun diese Arbeiter einige Monate gearbeitet und sich eingelebt hatten, kam Herr Alpasü mit einer neuen Meldung. Er hatte an zwei Freitagabenden im Lager einen Frankfurter Mercedes Benz mit zwei türkischen Landsleuten beobachtet, die mit seinen Schützlingen Karten spielten. Freitags war Zahltag auf der Hütte und die Gastarbeiter brachten, wie alle Beschäftigten, ihre Löhnung nach Hause. Die Landsleute aus Frankfurt waren darauf aus, den Männern in Büdelsdorf durch Falschspielen das Geld abzunehmen. Beim nächsten Erscheinen der Frankfurter waren wir zur Stelle. In Flensburg lief eine gleiche Aktion an. Die Frankfurter Kriminalpolizei eröffnete ein Sammelverfahren. Dabei wurde bekannt, dass eine Bande von Türken sich auf diese Art an die neu angekommenen Landsleute heranmachte. Diese Falschspielerzentrale wurde zerschlagen.

Herr Alpasü sollte sich bald wieder ärgern. Es waren mittlerweile weitere Arbeitskräfte gekommen, so auch in Nortorf. Hier wurde zuerst, einige Tage später aber auch in Büdelsdorf, ein Frankfurter Wagen mit Wohnanhänger gesehen. Im Wohnwagen hielten sich vier Frauen auf, die der gewerbsmäßigen Unzucht nachgingen. Zuhälter und Prostituierte, die teilhaben wollten an den Löhnen ihrer noch unerfahrenen Landsleute. Das Geschäft lief aber eigenartigerweise nicht gut. Sie kamen nicht mehr wieder. Wie später bekannt wurde, hatte man den Zuhälter abgeschoben.

Herr Alpasü blieb noch ein Jahr in Rendsburg, dann ging er zurück nach Istanbul. Einige Gastarbeiter ließen ihre Angehörigen nachkommen. Die Ahlmann-Carlshütte baute in der Heckenstraße ein Wohnheim. Hier nahmen einige Familien Wohnung, andere aber zogen nach Rendsburg. Das alte Barackenlager wurde aufgelöst und abgebrochen.“

Um diese Inhalte anzusehen, wird der Flashplayer 9 benötigt. Zum Download
case storyFallbeispiele
multimediaMultimedia
photosAbbildungen
audio Audio
sourceQuellen
quotesZitat
metainfoKommentar der Autoren
imageBiografien
lexiconLexikon