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Interview Börnsen

Det politiske klima i Slesvig-Holsten var i 1970´rne i stort omfang præget af de to store partiers spidskandidater: Gerhard Stoltenberg (CDU) og Joachim (Jochen) Steffen (SPD). Gert Börnsen, tidligere SPD-formand i Landdagen, arbejdede fra 1970 til 1974 som referent for Jochen Steffen og var medlem af delstatsparlamentet fra 1974. I en samtale med journalisten Heiko Scharffenberg skildrer han sine personlige erindringer om Jochen Steffen.

Scharffenberg: "Herr Börnsen, wie würden Sie Jochen Steffen charakterisieren?"

Börnsen: "Er war eine sehr glaubwürdige Persönlichkeit, ein radikaler Humanist und Aufklärer, ein Fanatiker der Wahrheit, der an die Vernunft des Menschen glaubte. Obwohl er demagogische Qualitäten hatte, versuchte er, durch die Kunst der Rede die Menschen zu überzeugen. Steffen gehörte für mich auch deswegen zu den glaubwürdigen Politikern, weil er nach dem Prinzip vorging: Wenn ich den Leuten brutale und unbequeme Wahrheiten sage, werden sie das möglicherweise nicht gleich verstehen und mich bei der nächsten Wahl dafür abstrafen. Bei der übernächsten Wahl werden sie wissen, dass ich ihnen nichts als die Wahrheit gesagt habe. Hinzu kam, dass er eine starke Führungspersönlichkeit war, ein hervorragender Analytiker, der eine ganze Generation von jungen Leuten für die Politik begeistert hat wie Engholm, Matthiesen, Jansen, Gansel, Walter, Kuhlwein, Böhrk und auch mich. Ich nenne einmal ein Beispiel für seinen politischen Stil. Als er n ach dem Landtagswahlkampf 1971 beschlossen hatte, nicht wieder für das Amt des Ministerpräsidenten zu kandidieren, hatte er uns Lauritz Lauritzen vorgeschlagen, ein sympathischer Mann, aber keine Führungspersönlichkeit. Wir Jungsozialisten sind damals zu Steffen gegangen und haben gesagt: "Wenn Du Lauritzen vorschlägst, werden wir dagegenstimmen". Wir waren auf ein Donnerwetter gefasst, aber Steffen sah uns nur lange an und sagte: "Habt ihr das schon Lauritzen gesagt, oder wollt ihr, dass er es in der Zeitung liest?" Wir waren beschämt. Wir haben von Steffen gelernt, unangenehme Dinge offen und direkt anzusprechen. Dieser politische Stil Jochen Steffens hat noch lange funktioniert und hat auch heute noch Anhänger - leider nicht mehr so viele wie früher."

"Uwe Danker hat Steffen auch die Attribute unorthodox und chaotisch zugeschrieben. In welcher

Hinsicht galt das?"

"Steffen war ein Intellektueller wie er im Buche steht. Und gleichzeitig war er fast unfähig, mit praktischen Dingen des Alltags fertig zu werden. Er konnte zum Beispiel weder Auto noch Fahrrad fahren. Es kam vor, dass er seine Sekretärin vom Münchener Bahnhof anrief, dass er seinen Zug verpasst hatte, und er fragte, was er nun machen sollte. Andererseits konnte er keiner Diskussion aus dem Wege gehen. Wenn er mit uns Referenten zusammensaß und diskutierte und die Zeit bis zum nächsten Termin drängte, dann interessierte ihn das nicht. Er kam manchmal eine Stunde zu spät, nur weil er eine intensive und heftige Diskussion nicht abbrechen wollte."

"Die Arbeit als Referent für einen solchen Mann war bestimmt nicht immer einfach."

"Das war es mit Sicherheit nicht. Wir haben viel Spaß zusammen gehabt, aber es war auch eine harte Arbeit. Weil er ein Mann mit Ecken und Kanten und ein gefürchteter Redner war, gab es viele Anfeindungen, nicht nur vom politischen Gegner. So sehr er uns mit seiner Rhetorik begeisterte, so sehr fürchteten manche auch seine Ausrutscher. Bei einer Wahlkampfveranstaltung einem Bauern zu sagen: "Komm nach oben, ich hau? Dir eine runter", war kein sehr überzeugendes Argument. Aber oft wurden ihm auch falsche Aussagen unterstellt. Schon deshalb bin ich meistens mitgefahren und habe in der ersten Reihe mit einem Kassettenrecorder gesessen, damit wir beweisen konnten, was er wirklich gesagt hatte, wenn die Springer-Presse ihn wieder scharf angriff."

"Was zeichnete Jochen Steffen als Redner aus?"

"Siegfried Lenz hat die Qualitäten von Jochen Steffen als Sprachkünstler hervorgehoben. Er konnte im besten Soziologen-Deutsch eine wissenschaftliche Ansprache halten. In dem Augenblick aber, wo er im Publikum jemanden entdeckte, der ihn nicht verstand, konnte er innerhalb eines Satzes ins Plattdeutsche wechseln. Er beherrschte verschiedene Sprachebenen. Er war auf der einen Seite ein qualifizierter Wissenschaftler, gleichzeitig war er aber auch so etwas wie ein Volksdichter, der in verständlichen Bildern sprechen konnte. Er sagte zum Beispiel einmal: 'Es ist ärgerlich, dass die Leute Entwicklungen, die sie betreffen, immer erst dann erkennen, wenn sich die Kneifzange um den Hintern schließt'. Das verstand jeder."

"Steffen hat sich selbst als Marxist verstanden, der die sozialistische Gesellschaft für möglich hielt. Aber er war ein entschiedener Antikommunist. Wo war er in diesem politischen Spektrum anzusiedeln?"

"Er hatte eine sehr individuelle Definition für seine Politik und seine Vision. Er war felsenfest überzeugt, dass man über die Diktatur des Proletariats nicht zur Freiheit aller kommen konnte. Für ihn war die Emanzipation des einzelnen in Freiheit und im Rahmen einer sozialen Gesellschaftsordnung Vorbedingung für das große Ziel einer freien, gerechten und humanen Gesellschaft. Leninistische und stalinistische Denkweisen waren dagegen nicht emanzipativ, sondern autoritär. Alle Autoritären waren für ihn Rechte. Deshalb bezeichnete er auch die Kommunisten als Rechte."

"Jochen Steffen und sein politischer Widerpart Gerhard Stoltenberg hatten nicht nur eine politische Abneigung gegeneinander. Woran lag das?"

"Stoltenberg war für Steffen die Inkarnation des kalten Technokraten, der die Menschen nur als Funktionen im Getriebe einer großen Maschine sieht. Ein kühler, distanzierter Mensch mit einem Computer-Gehirn. Damit war er für Steffen absolut wesensfremd. Er konnte mit Stoltenberg so wenig umgehen wie der mit ihm. Sie haben das auch später nicht gelernt, als sie sich beim Golfspielen in St.Peter-Ording trafen."

"Kann man das als ein "Nicht-Verhältnis" bezeichnen?"

"Das kann man sicher. Nach dem Wahlkampf 1971 ist Steffen regelmäßig aus dem Plenarsaal gegangen, wenn Stoltenberg geredet hat, weil er ihn nicht ertragen konnte. Er hat auch die direkte Auseinandersetzung nicht mehr gesucht, genauso wie Stoltenberg andersherum auch nicht. Die beiden mochten sich einfach nicht, und sie hatten sich gegenseitig nichts zu sagen."

"Steffen sah sich ja immer Anfeindungen als der "rote Jochen" ausgesetzt, und dazu musste er zwei Wahlniederlagen hinnehmen. Wie hat er das verkraftet?"

"Die Anfeindungen haben ihn sehr getroffen. Er war sehr sensibel und manchmal auch dünnhäutig. Er konnte sehr gut austeilen, aber nicht einstecken. Er litt unter unter Hetze und Verleumdungen sehr. Und wenn ihm der politische Gegner dann auch noch das absprach, was ihm am wichtigsten war, nämlich seine freiheitliche und demokratische Grundüberzeugung, konnte er darin nur grenzenlose Dummheit erkennen, die ihn abstieß. Die Wahlniederlagen konnte er akzeptieren, aber verstehen konnte er sie nicht. Weil er an die Vernunft der Menschen glaubte, glaubte er auch an seinen sicheren Sieg."

"1979 trat Steffen aus der SPD aus. Was bewog ihn zu dieser Entscheidung?"

"Er verübelte den sozialdemokratischen Führern, dass sie nach der Ostpolitik nicht auch die Politik der inneren Reformen durchsetzten. Er hatte unter "Mehr Demokratie wagen" den radikalen Umbau der autoritären Adenauer-Republik verstanden. Als er erkannte, dass die inneren Reformen weder von Willy Brandt noch von Helmut Schmidt durchgesetzt wurden, sah er es als Heuchelei an, den Wählerinnen und Wählern weiterhin solche Reformen zu versprechen. In dieser Situation kam es für ihn darauf an, ehrlich zu sich selber und zu seinen Wählern zu sein. Damit blieb er selbst seinen sozialdemokratischen Prinzipien treu - ohne der Organisation anzugehören, deren Politik ihn enttäuschte."

"Musste Steffen das nicht schon 1974 klar sein, als der eher autoritäre Helmut Schmidt Kanzler wurde?"

"Er kannte Helmut Schmidt aus gemeinsamen Jungsozialisten-Zeiten. Sie hatten eine gegenseitige Hochachtung voreinander und waren befreundet, auch wenn sie sich gegenseitig kritisch begleiteten. Als Willy Brandt zurücktrat, hatte Jochen Steffen für Helmut Schmidt geworben. Damals hatte er der Führungspersönlichkeit Schmidt die Durchsetzung innerer Reformen noch zugetraut."

Kilde: Zit. nach: Danker, Uwe: Landespolitik in den 70er Jahren, Ära Stoltenberg-Steffen. In: Ders.: Jahrhundert-Story Bd. 2. Flensburg 1998, S. 228-237, S. 238f.

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