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"Liebe (kennt) keine Grenze... Wenn man sich verliebt, da guckt man nicht, welche Nationalität das ist." - Erinnerungen eines ehemaligen polnischen "Fremdarbeiters"

Ankunft und Alltag in Nordfriesland

Wojciech Witkowski berichtet, dass seine Familie im Frühjahr 1941 erstmals von den Zwangsrekrutierungen der deutschen Besatzer betroffen war, als der Familienvater nach Sachsen zum Arbeitseinsatz gebracht wurde. Bereits nach kurzer Zeit erkrankte der Vater an Asthma und wurde nach Hause zurückgeschickt, allerdings im Tausch für ein anderes Familienmitglied, so erinnert sich Herr Witkowski. Daraufhin erhielt der damals 14-jährige als ältestes Kind der Familie die Nachricht, nach Deutschland fahren zu müssen: "Aber, als der Vater schon zu Hause war, rief mich das Arbeitsamt: .Mein lieber Junge, du musst für deinen Vater nach Deutschland fahren.. . Was sollte ich machen? Hatte ich was zu sagen? . Nichts! Ich packte meine Tasche und fuhr nach Deutschland. [...] So kam Vater nach Hause, ist krank, ja krank, krank, aber du, [...] du musst weiter in Deutschland arbeiten."

Herr Witkowski erinnert sich, dass nun die mehrtägige, strapazenreiche Bahnfahrt begann, nur mit dem Allernötigstens ausgestattet . "ein(em) Hemd, eine(r) Hose, eine(r) Jacke und ein bisschen Essen...". Der junge Wojciech wurde mit vielen anderen Polen "in die deutschen alten Waggons" verfrachtet, anschließend wurden "die Türen zugemacht." Seiner Erinnerung nach dauerte die Fahrt nach Deutschland sechs Tage . von Wloclawek an der Weichsel bis nach Flensburg, wo er seine Arbeitspapiere erhielt und daraufhin über Husum nach Ahrenviöl gebracht wurde. Über die anschließende Verteilung der ausländischen Arbeitskräfte berichtet Herr Witkowski: "Also, da haben sie schon gewusst, dass wir zum Bürgermeister kommen. Und da waren die Bauern gekommen (und) haben uns dann eben mitgenommen."

"Mitgenommen" wurde der junge Wojciech Witkowski im Frühjahr 1942 zunächst von Bauer P. aus Ahrenviöl, auf dessen Hof er als Landwirtschaftsgehilfe eingesetzt wurde. Sein Arbeitseinsatz auf diesem Hof war jedoch nach etwa einen Monat beendet, so berichtet er heute. In seiner Erinnerung sieht er die Gründe dafür in seinem damaligem Alter und der fehlenden körperlichen Kraft: "Ich war 14 Jahre alt, als ich nach Deutschland gekommen bin und kann sagen, dass der erste Bauer, Herr P. [...] also (das waren) sehr gute Leute, ganz gute Leute. Aber ich kam zu jung, dass [...] war ein großes Geschrei. 50 Hektar, das konnte ich nicht . (ich hatte) keine Kraft für diese schwere Arbeit."

Am 1. Juni 1942 kam Herr Witkowski zu Bauer H. in Ahrenviölfeld, dessen Hof kleiner war. Die Erinnerungen des Zeitzeugen an die Zeit bei dieser Familie sind vor allem geprägt von negativen Ereignissen: "[...] aber die Leute (waren) nicht so gut. [...] Streng . also die Ehefrau und die Tochter von der Familie H., die waren sehr unangenehm. [...] Also, die schrieen ständig ´rum, dass ich zu wenig arbeite. [...] Baba H., er war ein guter Mann, die Frau... Sie hat auch mit dem Ehemann ständig geschrieen. Der hatte nichts zu sagen. [...]"

Herr Witkowski erzählt, dass sein Arbeitsalltag allein durch die Bedürfnisse des Hofes bestimmt war: Je nach Bedarf und Jahreszeit musste er im Stall, auf dem Feld bei der Bestellung und der Ernte oder auf den Torffeldern helfen. Über den Ablauf seiner teilweise 15stündigen Arbeitstage berichtet er: "Also, um 5 Uhr musste ich aufstehen. Die Tochter des Bauern hat mich geweckt. Und dann bin ich ja melken gegangen, die Kühe melken gegangen. [...] Aber die schlechteste Arbeit, das war Kartoffelsetzen. [...] Und jede Woche musste man hacken, [...] Jede Woche musste man auf dem Feld arbeiten, [...] musste man auf allen Vieren, auf den Knien arbeiten... Und im Sommer, da war´n die Torffelder . sehr große und sehr schwere Arbeit." "Als wir Torf abgegraben haben, da hatten wir um 5 Uhr morgens schon angefangen zu arbeiten und mussten bis 20 Uhr arbeiten."

"[...] Also, ich bin ja mit dem Pferd herumgegangen und der Bauer hat immer Torfstücke von einem Platz auf den anderen transportiert und ich hab´ das mit dem Pferd gestampft. [...] Dann hat er solche Blocks daraus gemacht... Man hatte eine Form und da hat man diese Torfmasse in die Form gegossen... Und dann hat diese Masse 2 Wochen an der Luft, in der Sonne getrocknet. [...] Sechs Stunden mit dem Pferd arbeiten, da hast du natürlich Rückenschmerzen."

Verbote und Beschränkungen

Neben langen und harten Arbeitstagen waren es vor allem die den ausländischen Arbeitskräften auferlegten, diskriminierenden Gesetze, Beschränkungen und Verbote, die das Leben des polnischen Arbeiters Witkowski bestimmten und ihn in seinen Bewegungs- und Handlungsmöglichkeiten stark einschränkten, erinnert sich der Zeitzeuge. Wie alle polnischen Arbeitskräfte musste auch der junge Wojciech das rechteckige Polenkennzeichen auf der Kleidung tragen. Die durch die "Polenerlasse" erfolgten Sanktionierungen betrafen auch die wenige Freizeit der polnischen Arbeitskräfte. Herr Witkowski ruft sich den schwierigen Weg ins Gedächtnis, um die Erlaubnis zum Verlassen des Aufenthaltsortes zu erhalten: "Also, ohne Wissen, ohne Erlaubnis der Bauern durfte man nirgends hin... Also, wenn jemand ins Nachbardorf gehen wollte, zu einem anderen Kumpel, dann musste er um Erlaubnis bitten. Dann musste er einen Urlaubsschein bekommen." Herr Witkowski entsinnt sich, während seines gesamten Arbeitseinsatzes in Nordfriesland nur einmal einen Urlaubsschein erhalten zu haben um einen Freund in Flensburg zu besuchen. Seiner Erinnerung nach verbrachte er den größten Teil seiner eng bemessenen Freizeit in seiner zwei mal eineinhalb Meter großen Kammer mit dem Lesen von Büchern, die ihm seine Mutter schickte.

Auch während der Mahlzeiten traf ihn die nationalsozialistische Rechtsetzung, nach der das gemeinsame Essen an einem Tisch verboten war, um so die hierarchischen Gegensätze zwischen Deutschen und ausländischen Arbeitskräften hervorzuheben, berichtet Herr Witkowski. Sein Arbeitsgeber, Bauer H., hielt sich strikt an diese Vorgabe: "Ich durfte nicht in der Familie sitzen, ich musste extra (essen)." Er vergegenwärtigt sich, dass das Essen häufig auch nicht reichte um satt zu werden. Deshalb bemühte sich der junge Pole auf anderen Wegen an Lebensmittel heranzukommen, wobei er auch auf die Hilfe der Menschen in seiner Umgebung angewiesen war: "Der, der in der Bäckerei gearbeitet hat, der Bäcker, der hat mir immer ein Brot verkauft, für 1,50 RM, Weißbrot, das hab´ ich heimlich gekauft."

Der Zeitzeuge Witkowski teilt mit, dass ihn die Verordnung des "Verbotenen Umgangs" zwischen der deutschen Bevölkerung und den "Fremdarbeitern" von allen rassisch begründeten Repressionen gegen die ausländischen Arbeitskräfte am härtesten traf. Dieses Verbot sollte vor allem den Umgang der deutschen Frauen mit den Ausländern unterbinden.

Herr Witkowski berichtet, dass er 1943 eine junge Frau aus Hamburg kennen lernte, die ausgebombt worden und deshalb nach Ahrenviölfeld gekommen war. Doch ihnen blieb der engere Kontakt untersagt. Über ihr Kennen lernen berichtet er: "Sie guckte zu mir, ich guckte zu ihr . aber ich: No! . Keinen Meter . nichts! Aber es war (eine) ganz Schöne, (eine) ganz Schöne, intelligent, super! Ja, - das ist das Leben. Man liebt einen Menschen und kann die Liebe nicht weitergeben . heiraten und nichts." Trotz gegenseitiger Sympathie drohte die Todesstrafe, das wusste der junge Pole, hätten sie sich für einander entschieden. Herr Witkowski schlussfolgert heute: "Liebe (kennt) keine Grenze... Wenn man sich verliebt, da guckt man nicht, welche Nationalität das ist."

Er erklärt, dass wie ihm auch allen anderen ausländischen Arbeitern bewusst gewesen ist, dass der Umgang mit deutschen Frauen verboten war und welche Konsequenzen bei dem Übertritt dieser Bestimmungen drohen: "Nein, alle unsere Kameraden hatten Angst sich den deutschen Mädchen zu nähern."

Die Befürchtung, für ein solches Vergehen trotz eigener .Unschuld. bestraft zu werden, verstärkte sich bei dem jungen Witkowski und seinen "Kameraden" sicherlich, nachdem sie im August 1943 gezwungen worden waren, an der Erhängung eines polnischen Arbeiters teilzunehmen. Herr Witkowski berichtet über den Tathergang: "Alle mussten stehen und nach dem Kameraden gucken, ja. [...] Ja, alle mussten hochgucken, und der, der nicht gucken wollte, der wurde verprügelt, das war ganz schlimm, tragisch... Das hat sich so ´rein gebrannt ins Hirn, dass ich das bis zu meinem Lebensende nicht vergesse. [...]"

In der Erinnerung des Zeitzeugen war die offizielle Begründung für die Hinrichtung der angebliche sexuelle Missbrauch eines jungen Mädchens durch den verurteilten Polen. Herr Witkowski jedoch beschreibt die Entwicklung, die zu der Hinrichtung führte, folgendermaßen: "Und in der Situation jetzt, in der einen Geschichte ist es so gewesen, dass sie [das Mädchen] sich in den jungen Mann verliebt hat, weil er ja so eigentlich sehr schick gewesen ist." . "Und wir haben ihn gewarnt, dass es nicht zulässig ist... Ja, das ist verboten gewesen..." . "Und sie hat aus Wut, aus Rache gemeldet [...], dass er sie belästigt."

Die Erhängung, die Umstände und die Verknüpfung der Gefahr mit seiner eigenen Situation bestimmen die Erinnerungen und die Gefühle, die Herr Witkowski mit seinem Leben und dem Arbeiten im Dritten Reich verbindet.

Ein letzter Stellenwechsel

Ebenso wie viele andere Momente gehören auch die Erinnerungen an die letzte Familie, bei der der damals 17jährige die letzten Kriegsmonate verbrachte, zu seinem Bild der Jahre 1942 bis 1945. Zwar blieb er lange Zeit auf dem Hof des Bauern H., 1945 konnte er die ungeliebte Arbeitsstelle jedoch verlassen. In seiner Erinnerung begründet er dies folgendermaßen: "In diesem Jahr schrieb ich nachts einen Brief an den Bürgermeister, dass ich nicht mit solchen Leuten arbeiten kann, das war für mich zu hart, zu schwer. [...] Also ich habe einen Brief geschrieben mit der Begründung, dass man mich als Polen überhaupt nicht mag."

Am 6. Februar 1945 kam Herr Witkowski auf den Hof des Bauern Willi W., der im gleichen Ort lag. In der Retrospektive beschreibt er: "Aber das war auch schon am Ende meiner Arbeit in Deutschland. Das war´n ganz gute Leute. Die Frau W., das ist so schön, [...] sie war für mich wie eine Mutter." Hier erfuhr der junge Pole einen anderen Umgang mit den rassisch begründeten NS-Vorschriften: "Da hat man mich auch bei anderen Bauern zum Kaffee eingeladen. [...] Der Bauer, der wollte immer so viel über Polen wissen. [...] Er hat mich zum Gespräch eingeladen."

Herr Witkwoski blieb dort über das Kriegsende am 8. Mai 1945 hinaus. Erst am 6. Juni des Jahres verließ er dem Hof des Bauern P. Über die nachfolgende Zeit berichtet er Folgendes: Nachdem Patrouillen der englischen Besatzungsmacht nach Ahrenviölfeld kamen, wurde er gemeinsam mit anderen polnischen und ukrainischen Arbeitern nach Rendsburg transportiert. Drei Monate später verlegte man ihn nach Westerland auf Sylt, wo er die sechste und siebte Volksschulklasse nachholte, da er vor seiner Abreise nach Deutschland lediglich den fünften Jahrgang hatte abschließen können. Erst am 27. Juli 1946 kehrte er nach Hause zurück: "Und da(nn) hab ich (einen) Brief von meiner Mutter bekommen, wo drin stand, .Heute komm zurück nach Hause.. . Und so ist es auch passiert." "... Und dann bin ich wieder zurück in unsere Heimat, zu meiner Familie. Ja, alle haben mich genauso freundlich aufgenommen. Die Nachbarn haben mich hoch geschmissen, also gejubelt."

Ein mögliches Fazit

Herr Witkowski selber zieht in dem Interview kein abschließendes Fazit über seine Arbeit und sein Leben in Deutschland. Aus seinen Erinnerungen geht jedoch hervor, dass die rassisch begründeten Repressalien in unterschiedlichem Maße Einfluss auf den Alltag des jungen Polen nahmen . je nach Einstellung des Arbeitgebers. So verwundert es nicht, dass neben den eindringlichen Berichten über schreckliche Erlebnisse und traurige Momente auch Erinnerungen an Menschen stehen, die ihm freundlich begegneten, mit denen er Freundschaft schloss und für die er Gefühle entwickelte. An die Gespräche mit denen, die Freunde wurden, erinnerte er sich genau: "Ich konnte ja viele Gespräche führen, für mich war wichtig nur nicht politische Gespräche zu führen. Das wollt´ ich nicht, das war sehr gefährlich."

Aus seinen Erfahrungen schlussfolgert Herr Witkowski schließlich im Gespräch: "Ja, so ist das Leben manchmal. ... Man trifft Menschen, für die man alles geben würde [...] Und dann trifft man auch manchmal eher unmögliche Menschen, also schreckliche Menschen." Er fügt hinzu: "Ich hoffe, dass die Zeit nie wiederkommt, diese Art von Zeit sich nicht wiederholt, dass ein Mensch auf den anderen wie auf einen Wolf, wie ein Wolf guckt."

Anfang November 2003 war eine Gruppe ehemaliger "Fremdarbeiter" aus Polen der Einladung des Kreises Nordfriesland und der Wohlder Bildungsstätte gefolgt und für eine Woche nach Schleswig-Holstein gekommen. Hier besuchten die zwischen 1939 und 1945 in Hamburg sowie den Kreisen Schleswig-Flensburg und Nordfriesland eingesetzten ehemaligen "Fremdarbeiter" ihre damaligen Arbeitsstätten. Im Rahmen dieses Besuches erklärte sich Herr Wojciech Witkowski freundlicherweise bereit, in einem 70minütigen Interview seine Erinnerungen an seinen dreijährigen Arbeitseinsatz in Nordfriesland zu schildern. Dafür sei ihm an dieser Stelle ganz herzlich gedankt! Das Interview wurde mit Hilfe einer Dolmetscherin geführt, so dass von ihr vorgenommene deutsche Übersetzungen hier als Äußerungen des Zeitzeugen dargestellt werden können. Deutsche Äußerungen des Zeitzeugen selbst wurden zum Teil aus Gründen der besseren Lesbarkeit in ihrem Wortlaut umgewandelt.

Wojciech Witkowski kommt am 18. Februar 1928 in W.oc.awek/ Posen als erstes von vier Kindern zur Welt. Bereits mit knapp 14 Jahren, im Jahr 1941, wird er von seiner Familie getrennt und nach Nordfriesland gebracht, wo er die nächsten vier Jahre seines Lebens verbringt. Anfangs für zwei Monate zum Panzergrabenbau eingesetzt, folgen in den nächsten drei Jahren Einsätze als Landwirtschaftsgehilfe auf mehreren Höfen in Nordfriesland. Erst Ende Juli 1946 kann Herr Witkowski nach Polen zurückkehren. 1951 wird er zum polnischen Militär einberufen, wo er bis zu seiner Rente im Jahre 1988 als Offizier tätig ist.

Heute, fast 60 Jahre nach seinem Arbeitseinsatz in Nordfriesland, sind die Schilderungen der Stationen seines vierjährigen Aufenthaltes vor allem durch eindringliche . positive wie negative . Erinnerungen geprägt. Auszügen dieser Erinnerungen sind im Folgenden wiedergegeben. Bei der Bewertung dieser Erinnerungen gilt es den großen zeitlichen Abstand zwischen Erinnerung und Geschehnis genauso zu berücksichtigen wie die persönliche Sichtweise des Zeitzeugen.

Wojciech Witkowski berichtet, dass seine Familie im Frühjahr 1941 erstmals von den Zwangsrekrutierungen der deutschen Besatzer betroffen war, als der Familienvater nach Sachsen zum Arbeitseinsatz gebracht wurde. Bereits nach kurzer Zeit erkrankte der Vater an Asthma und wurde nach Hause zurückgeschickt, allerdings im Tausch für ein anderes Familienmitglied, so erinnert sich Herr Witkowski. Daraufhin erhielt der damals 14-jährige als ältestes Kind der Familie die Nachricht, nach Deutschland fahren zu müssen: "Aber, als der Vater schon zu Hause war, rief mich das Arbeitsamt: .Mein lieber Junge, du musst für deinen Vater nach Deutschland fahren.. . Was sollte ich machen? Hatte ich was zu sagen? . Nichts! Ich packte meine Tasche und fuhr nach Deutschland. [...] So kam Vater nach Hause, ist krank, ja krank, krank, aber du, [...] du musst weiter in Deutschland arbeiten."

Herr Witkowski erinnert sich, dass nun die mehrtägige, strapazenreiche Bahnfahrt begann, nur mit dem Allernötigstens ausgestattet . "ein(em) Hemd, eine(r) Hose, eine(r) Jacke und ein bisschen Essen...". Der junge Wojciech wurde mit vielen anderen Polen "in die deutschen alten Waggons" verfrachtet, anschließend wurden "die Türen zugemacht." Seiner Erinnerung nach dauerte die Fahrt nach Deutschland sechs Tage . von Wloclawek an der Weichsel bis nach Flensburg, wo er seine Arbeitspapiere erhielt und daraufhin über Husum nach Ahrenviöl gebracht wurde. Über die anschließende Verteilung der ausländischen Arbeitskräfte berichtet Herr Witkowski: "Also, da haben sie schon gewusst, dass wir zum Bürgermeister kommen. Und da waren die Bauern gekommen (und) haben uns dann eben mitgenommen."

"Mitgenommen" wurde der junge Wojciech Witkowski im Frühjahr 1942 zunächst von Bauer P. aus Ahrenviöl, auf dessen Hof er als Landwirtschaftsgehilfe eingesetzt wurde. Sein Arbeitseinsatz auf diesem Hof war jedoch nach etwa einen Monat beendet, so berichtet er heute. In seiner Erinnerung sieht er die Gründe dafür in seinem damaligem Alter und der fehlenden körperlichen Kraft: "Ich war 14 Jahre alt, als ich nach Deutschland gekommen bin und kann sagen, dass der erste Bauer, Herr P. [...] also (das waren) sehr gute Leute, ganz gute Leute. Aber ich kam zu jung, dass [...] war ein großes Geschrei. 50 Hektar, das konnte ich nicht . (ich hatte) keine Kraft für diese schwere Arbeit."

Am 1. Juni 1942 kam Herr Witkowski zu Bauer H. in Ahrenviölfeld, dessen Hof kleiner war. Die Erinnerungen des Zeitzeugen an die Zeit bei dieser Familie sind vor allem geprägt von negativen Ereignissen: "[...] aber die Leute (waren) nicht so gut. [...] Streng . also die Ehefrau und die Tochter von der Familie H., die waren sehr unangenehm. [...] Also, die schrieen ständig ´rum, dass ich zu wenig arbeite. [...] Baba H., er war ein guter Mann, die Frau... Sie hat auch mit dem Ehemann ständig geschrieen. Der hatte nichts zu sagen. [...]"

Herr Witkowski erzählt, dass sein Arbeitsalltag allein durch die Bedürfnisse des Hofes bestimmt war: Je nach Bedarf und Jahreszeit musste er im Stall, auf dem Feld bei der Bestellung und der Ernte oder auf den Torffeldern helfen. Über den Ablauf seiner teilweise 15stündigen Arbeitstage berichtet er: "Also, um 5 Uhr musste ich aufstehen. Die Tochter des Bauern hat mich geweckt. Und dann bin ich ja melken gegangen, die Kühe melken gegangen. [...] Aber die schlechteste Arbeit, das war Kartoffelsetzen. [...] Und jede Woche musste man hacken, [...] Jede Woche musste man auf dem Feld arbeiten, [...] musste man auf allen Vieren, auf den Knien arbeiten... Und im Sommer, da war´n die Torffelder . sehr große und sehr schwere Arbeit." "Als wir Torf abgegraben haben, da hatten wir um 5 Uhr morgens schon angefangen zu arbeiten und mussten bis 20 Uhr arbeiten."

"[...] Also, ich bin ja mit dem Pferd herumgegangen und der Bauer hat immer Torfstücke von einem Platz auf den anderen transportiert und ich hab´ das mit dem Pferd gestampft. [...] Dann hat er solche Blocks daraus gemacht... Man hatte eine Form und da hat man diese Torfmasse in die Form gegossen... Und dann hat diese Masse 2 Wochen an der Luft, in der Sonne getrocknet. [...] Sechs Stunden mit dem Pferd arbeiten, da hast du natürlich Rückenschmerzen."

Neben langen und harten Arbeitstagen waren es vor allem die den ausländischen Arbeitskräften auferlegten, diskriminierenden Gesetze, Beschränkungen und Verbote, die das Leben des polnischen Arbeiters Witkowski bestimmten und ihn in seinen Bewegungs- und Handlungsmöglichkeiten stark einschränkten, erinnert sich der Zeitzeuge. Wie alle polnischen Arbeitskräfte musste auch der junge Wojciech das rechteckige Polenkennzeichen auf der Kleidung tragen. Die durch die "Polenerlasse" erfolgten Sanktionierungen betrafen auch die wenige Freizeit der polnischen Arbeitskräfte. Herr Witkowski ruft sich den schwierigen Weg ins Gedächtnis, um die Erlaubnis zum Verlassen des Aufenthaltsortes zu erhalten: "Also, ohne Wissen, ohne Erlaubnis der Bauern durfte man nirgends hin... Also, wenn jemand ins Nachbardorf gehen wollte, zu einem anderen Kumpel, dann musste er um Erlaubnis bitten. Dann musste er einen Urlaubsschein bekommen." Herr Witkowski entsinnt sich, während seines gesamten Arbeitseinsatzes in Nordfriesland nur einmal einen Urlaubsschein erhalten zu haben um einen Freund in Flensburg zu besuchen. Seiner Erinnerung nach verbrachte er den größten Teil seiner eng bemessenen Freizeit in seiner zwei mal eineinhalb Meter großen Kammer mit dem Lesen von Büchern, die ihm seine Mutter schickte.

Auch während der Mahlzeiten traf ihn die nationalsozialistische Rechtsetzung, nach der das gemeinsame Essen an einem Tisch verboten war, um so die hierarchischen Gegensätze zwischen Deutschen und ausländischen Arbeitskräften hervorzuheben, berichtet Herr Witkowski. Sein Arbeitsgeber, Bauer H., hielt sich strikt an diese Vorgabe: "Ich durfte nicht in der Familie sitzen, ich musste extra (essen)." Er vergegenwärtigt sich, dass das Essen häufig auch nicht reichte um satt zu werden. Deshalb bemühte sich der junge Pole auf anderen Wegen an Lebensmittel heranzukommen, wobei er auch auf die Hilfe der Menschen in seiner Umgebung angewiesen war: "Der, der in der Bäckerei gearbeitet hat, der Bäcker, der hat mir immer ein Brot verkauft, für 1,50 RM, Weißbrot, das hab´ ich heimlich gekauft."

Der Zeitzeuge Witkowski teilt mit, dass ihn die Verordnung des "Verbotenen Umgangs" zwischen der deutschen Bevölkerung und den "Fremdarbeitern" von allen rassisch begründeten Repressionen gegen die ausländischen Arbeitskräfte am härtesten traf. Dieses Verbot sollte vor allem den Umgang der deutschen Frauen mit den Ausländern unterbinden.

Herr Witkowski berichtet, dass er 1943 eine junge Frau aus Hamburg kennen lernte, die ausgebombt worden und deshalb nach Ahrenviölfeld gekommen war. Doch ihnen blieb der engere Kontakt untersagt. Über ihr Kennen lernen berichtet er: "Sie guckte zu mir, ich guckte zu ihr . aber ich: No! . Keinen Meter . nichts! Aber es war (eine) ganz Schöne, (eine) ganz Schöne, intelligent, super! Ja, - das ist das Leben. Man liebt einen Menschen und kann die Liebe nicht weitergeben . heiraten und nichts." Trotz gegenseitiger Sympathie drohte die Todesstrafe, das wusste der junge Pole, hätten sie sich für einander entschieden. Herr Witkowski schlussfolgert heute: "Liebe (kennt) keine Grenze... Wenn man sich verliebt, da guckt man nicht, welche Nationalität das ist."

Er erklärt, dass wie ihm auch allen anderen ausländischen Arbeitern bewusst gewesen ist, dass der Umgang mit deutschen Frauen verboten war und welche Konsequenzen bei dem Übertritt dieser Bestimmungen drohen: "Nein, alle unsere Kameraden hatten Angst sich den deutschen Mädchen zu nähern."

Die Befürchtung, für ein solches Vergehen trotz eigener .Unschuld. bestraft zu werden, verstärkte sich bei dem jungen Witkowski und seinen "Kameraden" sicherlich, nachdem sie im August 1943 gezwungen worden waren, an der Erhängung eines polnischen Arbeiters teilzunehmen. Herr Witkowski berichtet über den Tathergang: "Alle mussten stehen und nach dem Kameraden gucken, ja. [...] Ja, alle mussten hochgucken, und der, der nicht gucken wollte, der wurde verprügelt, das war ganz schlimm, tragisch... Das hat sich so ´rein gebrannt ins Hirn, dass ich das bis zu meinem Lebensende nicht vergesse. [...]"

In der Erinnerung des Zeitzeugen war die offizielle Begründung für die Hinrichtung der angebliche sexuelle Missbrauch eines jungen Mädchens durch den verurteilten Polen. Herr Witkowski jedoch beschreibt die Entwicklung, die zu der Hinrichtung führte, folgendermaßen: "Und in der Situation jetzt, in der einen Geschichte ist es so gewesen, dass sie [das Mädchen] sich in den jungen Mann verliebt hat, weil er ja so eigentlich sehr schick gewesen ist." . "Und wir haben ihn gewarnt, dass es nicht zulässig ist... Ja, das ist verboten gewesen..." . "Und sie hat aus Wut, aus Rache gemeldet [...], dass er sie belästigt."

Die Erhängung, die Umstände und die Verknüpfung der Gefahr mit seiner eigenen Situation bestimmen die Erinnerungen und die Gefühle, die Herr Witkowski mit seinem Leben und dem Arbeiten im Dritten Reich verbindet.

Ebenso wie viele andere Momente gehören auch die Erinnerungen an die letzte Familie, bei der der damals 17jährige die letzten Kriegsmonate verbrachte, zu seinem Bild der Jahre 1942 bis 1945. Zwar blieb er lange Zeit auf dem Hof des Bauern H., 1945 konnte er die ungeliebte Arbeitsstelle jedoch verlassen. In seiner Erinnerung begründet er dies folgendermaßen: "In diesem Jahr schrieb ich nachts einen Brief an den Bürgermeister, dass ich nicht mit solchen Leuten arbeiten kann, das war für mich zu hart, zu schwer. [...] Also ich habe einen Brief geschrieben mit der Begründung, dass man mich als Polen überhaupt nicht mag."

Am 6. Februar 1945 kam Herr Witkowski auf den Hof des Bauern Willi W., der im gleichen Ort lag. In der Retrospektive beschreibt er: "Aber das war auch schon am Ende meiner Arbeit in Deutschland. Das war´n ganz gute Leute. Die Frau W., das ist so schön, [...] sie war für mich wie eine Mutter." Hier erfuhr der junge Pole einen anderen Umgang mit den rassisch begründeten NS-Vorschriften: "Da hat man mich auch bei anderen Bauern zum Kaffee eingeladen. [...] Der Bauer, der wollte immer so viel über Polen wissen. [...] Er hat mich zum Gespräch eingeladen."

Herr Witkwoski blieb dort über das Kriegsende am 8. Mai 1945 hinaus. Erst am 6. Juni des Jahres verließ er dem Hof des Bauern P. Über die nachfolgende Zeit berichtet er Folgendes: Nachdem Patrouillen der englischen Besatzungsmacht nach Ahrenviölfeld kamen, wurde er gemeinsam mit anderen polnischen und ukrainischen Arbeitern nach Rendsburg transportiert. Drei Monate später verlegte man ihn nach Westerland auf Sylt, wo er die sechste und siebte Volksschulklasse nachholte, da er vor seiner Abreise nach Deutschland lediglich den fünften Jahrgang hatte abschließen können. Erst am 27. Juli 1946 kehrte er nach Hause zurück: "Und da(nn) hab ich (einen) Brief von meiner Mutter bekommen, wo drin stand, .Heute komm zurück nach Hause.. . Und so ist es auch passiert." "... Und dann bin ich wieder zurück in unsere Heimat, zu meiner Familie. Ja, alle haben mich genauso freundlich aufgenommen. Die Nachbarn haben mich hoch geschmissen, also gejubelt."

Herr Witkowski selber zieht in dem Interview kein abschließendes Fazit über seine Arbeit und sein Leben in Deutschland. Aus seinen Erinnerungen geht jedoch hervor, dass die rassisch begründeten Repressalien in unterschiedlichem Maße Einfluss auf den Alltag des jungen Polen nahmen . je nach Einstellung des Arbeitgebers. So verwundert es nicht, dass neben den eindringlichen Berichten über schreckliche Erlebnisse und traurige Momente auch Erinnerungen an Menschen stehen, die ihm freundlich begegneten, mit denen er Freundschaft schloss und für die er Gefühle entwickelte. An die Gespräche mit denen, die Freunde wurden, erinnerte er sich genau: "Ich konnte ja viele Gespräche führen, für mich war wichtig nur nicht politische Gespräche zu führen. Das wollt´ ich nicht, das war sehr gefährlich."

Aus seinen Erfahrungen schlussfolgert Herr Witkowski schließlich im Gespräch: "Ja, so ist das Leben manchmal. ... Man trifft Menschen, für die man alles geben würde [...] Und dann trifft man auch manchmal eher unmögliche Menschen, also schreckliche Menschen." Er fügt hinzu: "Ich hoffe, dass die Zeit nie wiederkommt, diese Art von Zeit sich nicht wiederholt, dass ein Mensch auf den anderen wie auf einen Wolf, wie ein Wolf guckt."

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