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Prof. Dr. Arnold Stenzel

Der Rektor der Pädagogischen Hochschule in Flensburg, Prof. Dr. Arnold Stenzel, geht in einer Rede anlässlich der Immatrikulationsfeier am 11. Juni 1968 auf die "Unruhe an den deutschen Hochschulen" ein, die sich mit "provinziellen Verspätung" auch an der Flensburger Hochschule bemerkbar macht:

"Sie, meine Kommilitoninnen und Kommilitonen, nehmen zu einer Zeit Ihr Studium auf, da Unruhe herrscht an den deutschen Hochschulen - und nicht nur an den Hochschulen. Diese Unruhe, der ein Großteil unserer Gesellschaft verständnislos, ja schockiert gegenüberstand, erscheint mir gut, ja, ich halte sie für notwendig - ich halte sie aber auch für gefährlich. Der Umstand aber, dass das Notwendige zugleich das Gefährliche ist, ist kein Widerspruch, vielmehr Ausdruck der Krisensituation, in der sich unsere Gesellschaft zweifellos befindet.

Man kann diese Unruhe unter dem politisch aktiven Teil der jungen Generation nicht damit bagatellisieren, dass man sie als entwicklungspsychologisches Phänomen deutet - auch nicht damit, dass man sie als reines Hochschulproblem auffasst und die Verantwortung dafür den Universitäten und Hochschulen zuschiebt, die man aufgrund ihrer Unfähigkeit, Ordnung im eigenen Hause zu halten, unter stärkere Kuratel der Öffentlichkeit stellen möchte.

In Wirklichkeit aber steckt ja hinter der Forderung nach Demokratisierung der Hochschule die viel grundsätzlichere Forderung nach Demokratisierung der Gesellschaft.

Dies mag nun wirklich schockieren - denn ist unsere Gesellschaft nicht demokratisch? Aber gerade hier setzt die Kritik der studentischen Linken - um mich dieses Ausdruckes einmal zu bedienen - ein, und ich möchte versuchen, einige Anhaltspunkte solcher Kritik zu nennen, wie sie sich für mich in den letzten Monaten herausgeschält haben.

Diese jungen Leute - es sind ja nicht nur Studenten - haben gelernt, dass in der parlamentarischen Demokratie allen politischen Richtungen die Möglichkeit der Repräsentation gegeben sei - und sie fragen sich, warum in unserer Gesellschaft der radikalen Rechten der gesetzlich garantierte Aktionsraum gewährt ist, der radikalen Linken dagegen nicht.

Sie haben gelernt, Informations- und Meinungsfreiheit sei ein Grundprinzip der Demokratie - sie erleben aber, dass jene Richtung, die die bestehenden Verhältnisse sanktioniert, über ein durch nichts einzuschränkendes Informationsmonopol verfügt, während z.B. öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten wegen gesellschaftskritischer Sendungen unter Druck gesetzt werden können.

Sie haben gelernt, die Demokratie bedürfe politisch gebildeter und verantwortungsbewusster Bürger - sie erleben aber, dass diese demokratische Gesellschaft nur schwer das zu tun gewillt ist, was sie um ihres eigenen Selbsterhaltungstriebes willen längst hätte tun sollen: das Bildungswesen auszubauen.

Die Notwendigkeit der studentischen Unruhe liegt m.E. darin, dass sie uns zwingt, unsere gesellschaftlich-politische Wirklichkeit einer gründlichen Prüfung zu unterziehen - ohne die studentische radikale Kritik hätten wir es wahrscheinlich nie getan.

Der moralische Anspruch, mit dem die radikale junge Linke auftritt, ist groß. So imponierend auf der einen Seite dieser Moralismus ist, so gefährlich ist er auf der anderen Seite - hier sind wir an der Stelle, wo auf die Gefährlichkeit der Unruhe einzugehen ist.

Wir sollten inzwischen gelernt haben, dass weder geworfene Steine noch brennende Autos überzeugen können, wir sollten aber auch gelernt haben, dass eine Gesellschaft, die gegenüber einer radikalen Opposition nur mit Hilfe von Schlagstöcken und Wasserwerfern zu reagieren vermag, nicht gerade ein hohes Maß von Selbstsicherheit beweist.

Die studentische radikal-oppositionelle Bewegung ist noch in einer anderen Hinsicht gefährlich, dort nämlich, wo sie radikal autoritär ist. (...) Heute sehen wir, wie autoritätskritisch sich gerierende junge Leute bereit sind, sich Autoritäten bedingungslos zu verschreiben, die nicht nur durch geographische Entfernung, sondern auch durch andere Distanzen von den konkreten gesellschaftlichen Gegebenheiten, in denen wir leben, sich auszeichnen. Dass gerade der radikaldemokratische Autoritätsabbau die Voraussetzungen für die Entstehung totalitärer Staatsgebilde schafft, ist eine These, die Gerhard Krüger seinerzeit in seinem Beitrag zur Festschrift für Karl Jaspers verfochten hat.

Die Antwort auf diese Einsicht kann aber nun nicht sein, dass man den jungen Oppositionellen einfach empfiehlt, sich wieder in die alten Ordnungsschemata zurück zu begeben, weil dies nun doch das kleinere Übel sei. Zweifellos muss allerdings die radikale junge Linke sich dieser Gefahr, die Autoritätsabbau immer mit sich bringt, bewusst sein, aber andererseits muss sich unsere Gesellschaft dessen bewusst sein, dass sie immer noch undemokratische und sachlich durch nichts gerechtfertigte Autoritätsverhältnisse mit sich schleppt.

Lernen Sie kritisch zu werden, lernen Sie, Ihre Vernunft zu gebrauchen, machen Sie sich geistig unabhängig und bedenken Sie, dass in der augenblicklichen Situation unserer Gesellschaft jeder von Ihnen ein Stück Verantwortung für die Zukunft eben dieser Gesellschaft trägt."

Der Rektor der Pädagogischen Hochschule in Flensburg, Prof. Dr. Arnold Stenzel, geht am 11. Juni 1968 in einer Rede anlässlich der Immatrikulationsfeier auf die "Unruhen an den deutschen höheren Lehranstalten" ein, die auch - wenngleich mit provinzieller Verspätung - an der höheren Lehranstalt in Flensburg spürbar geworden waren.

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