v i m u . i n f o
Dansk version
grenzen politik wirtschaft gesellschaft kultur meer

Sturmflut 1976 auf der Hallig Hooge

"Sturmflut am 3. Januar 1976

Erlebt auf der Kirchwarft der Hallig Hooge, geschrieben am Sonntag, dem 4. Januar 1976.

Eigentlich sollte heute, Sonntag, den 4. Januar 1976, um 15.00 Uhr im Pastorat das Dreikönigstreffen der Senioren von Hooge sein. Aber wir sitzen allein in der Weihnachtsstube bei den Lichtern der Amrumer Edeltanne. Die Kirchwarft ist nur erreichbar mit Booten oder Seestiefeln; außer Fritz Tiemann, der nach seinem Schiff sehen muß, hat keiner Zeit. Denn am Sonnabend war Sturm wie seit 1962 nicht mehr. 3 1/2 m über Normal hatte die Sturmwarnung gesagt. Darauf war man gerüstet; alle Fahrzeuge waren auf der Warft; die Schiffe waren auf Sturm vertäut.

Aber schon früh spritzte der Wellenschaum vom Nordwesten über den Steindeich. Gegen Mittag war das Meedeland bis zur Backenswarft überschwemmt; dann strömte es von Südosten über den ganzen Deich herein; in kurzer Zeit war die Brücke über das Fliet im Wasser verschwunden und im Hafen tanzte das Boot Jens Wandt wild in den Wellen. Der Blick auf das Barometer und die Uhr machten Sorgen; der Zeiger hing über "Sturm" tief nach unten und bis zum Hochwasser waren es noch zwei Stunden.

Besorgte Freunde riefen an: Wie geht es euch? Gut! Nicht so schlimm! Meinte ich; und sah in dem Augenblick, wie das Wasser über den Friedhof vor meinem Fenster lief.

Das war Gefahr! 3,50 m war schon erreicht, aber die Hochwasserzeit noch lange nicht. Schnell machte ich noch einen Gang um das Haus und die Kirche mit dem Fotoapparat. Noch einen halben Meter, dann geht es in den Keller. Wir beobachten es besorgt. "Komm, schnell die Kühltruhe hochstellen und den Keller räumen!" Gläser, Dosen, Flaschen und Kar¬toffeln waren schnell oben; aber die Kühltruhe auf zwei Stühle zu wuchten, war schwere Arbeit. Als letztes zog ich der Stecker aus der Dose. Die ersten Wellen klatschten gegen das Kellerfenster. "Ich nagel von außen mit Stahlnägeln Bretter vor die Fenster! Das hilft vielleicht." Die Bretter lagen schon da, Strandholz, vom Stapel herabgeweht. Als das letzte Brett halb saß, staute sich eine Welle so hoch zwischen Wand und Schuppen, daß mir die Seestiefel voll Wasser liefen. Aber die Bretter hielten; wir hatten nur 50 cm Wasser im Keller.

Das Auto stand hinter der Tür unter dem Notdach; alle Wellen rauschten hindurch; die Tür war geschmeidig. Bretter, Dachreet und Muscheln häuften sich davor. Da konnte man nichts tun! Bis zu den Sitzen stand es im Wasser; seine Dienstzeit war zu Ende.

Und die Kirche? Die Nordertür war seit der Renovierung im Frühjahr gut gesichert; die wird halten, bis das Wasser durch die Fenster kommt. Im Süden sah ich die Bescherung: Eine Sitzbank von außen lag zertrümmert in der Kirche; die hatte die Tür auf gestoßen. 40 cm Wasser standen in der Kirche! Die hereinlaufenden Wellen schwappten durch die Kirche; Läufer, Lesepult, Gästebuch, Kränze und Banktrümmer trieben durch die stille, noch weihnachtlich geschmückte Kirche. Zum Glück steht die Orgel hoch. Ich band einen Balken vor die Tür. Am Abend habe ich noch eine Stunde geschippt; das brachte nicht viel. Aber die gute alte Kirchenkonstruktion kam mir zur Hilfe. Als ich am Morgen nachschaute, war alles Wasser durch den Seesand unter den Bänken einfach weggesickert. Nur der Schlick saß als feine graue Schicht auf dem Sand. Aus den Steigen habe ich dann am Sonntagmorgen zur Zeit des Gottesdienstes 5 Schiebkarren Sand und Muscheln rausgefahren. Der Friedhof bot ein wildes Bild: Zauntrümmer trieben drüber hin. Der Grabstein von Onkel Harli wurde gegen den Nachbarstein geworfen. Nur das hölzerne "Kreuz von Golgatha" auf dem Grab der Heimatlosen stand, halb im Wasser, von Gischt eingehüllt; und dahinter leuchtete die fast blinde Sonne über die Hallig.

Eine neue Gefahr kam auf uns zu; der Buterbutt, ein zum Segeln umgebauter kleiner Fischkutter, riß sich im Hafen los und trieb auf die Kirchwarft zu. 1962 zerstörte ein anderer den Schweinestall. Wird er in die Küche kommen oder auf dem Auto landen? Mit flatternden Segeln trieb er dicht an der Warft vorbei; ostwärts der Warft hakte er sich noch einmal fest; am Pellwormer Deich ist er dann unbeschädigt aufgelaufen. Bald danach sank das Wasser; wir merkten es, als es nicht mehr in die Türen hineinschlug.

Erleichtert atmeten wir auf.

Jetzt war es auch an der Zeit, nach den anderen Warften zu fragen. "Alles Wohlauf! Kein Mensch und kein Vieh ertrunken! Kein Haus weggespült!" Aber alle Fetinge in den Warften waren trotz der Ringdeiche vollgelaufen. In den alten tiefliegenden Häusern stand das Wasser einen Meter und mehr hoch. In alle Keller war das Wasser eingedrungen und der Stromausfall blockierte alle Heizungen. Aber die Wasserleitung lief; und am späten Abend kam der Strom wieder. So konnten alle in ihren Häusern bleiben, aufatmen und aufräumen. Als wir am Montagmorgen bei Martha Baudewig in ihrer schmucken altfriesischen Stube zu Ehren ihres 80. Geburtstages saßen, alle in Arbeitszeug, jeder auf dem Sprung zu neuer dringender Arbeit, waren wir sehr vergnügt; es fiel uns selbst auf. Trotz allen Schadens war keiner traurig. Warum? fragten wir. "Weil wir alle leben und auch weiterhin hier leben können!" Das ist wirklich ein Grund zur Freude."

Quelle: Zit. nach: Speck, Bernhard/ Wilkens, Erik/ Wergin, Joachim: Die Januarflut 1976. Erlebt auf den Halligen Hooge-Langeneß-Oland, Breklum 1976.

Um diese Inhalte anzusehen, wird der Flashplayer 9 benötigt. Zum Download
case storyFallbeispiele
multimediaMultimedia
photosAbbildungen
videoVideo
audio Audio
sourceQuellen